Gewiefte Immobilienmakler wären da vorsichtig: Ein Mehrfamilienhaus, in dem Spiegel auf dem Fußboden rumliegen, riecht nach Bruchbude, die man allenfalls als „charmante Wohnanlage“ anpreisen kann. Aber zum Glück steht das Objekt, von dem hier die Rede ist, gar nicht zum Verkauf, sondern es handelt sich um die Münchner Stuck-Villa, und der Spiegel, der dort am Boden liegt, ist Teil einer Installation. Denn in seiner Mitte thront ein mächtiges schwarzes Trumm, eine Art figürlicher Klumpen, vielleicht aber auch eine klumpige Figur. Ist es eine Gestalt, die sich mühsam der Materie zu entringen versucht? Oder eine Gestalt, die sich in die Formlosigkeit der Materie auflöst? Und angesichts des Spiegels könnte man natürlich auch noch an die mythologische Gestalt des Narziss denken, der sich bekanntlich in sein eigenes Spiegelbild verliebte.
Diese Überlagerung ver-schiedener Deutungsschichten und historisch-kultureller Bezüge ist das Markenzeichen der irischen Künstlerin Alice Rekab, Jahrgang 1987, deren erste Einzelausstellung in Deutschland jetzt von der Villa Stuck präsentiert wird. „Mehrfamilienhaus“ heißt die Schau, denn in ein Haus, in dem die Hinterlassenschaften und Geschichten mehrerer Familien sich vermischen, hat die Künstlerin die einstigen Räume Franz von Stucks verwandelt. Neben der Spiegel-Installation im Atelier des Malerfürsten hat sie kleinere eigene Ton-Objekte sowie ihre Familienfotos und Bücher eingeschmuggelt. Aber natürlich auch ihre großformatigen, „wilden“ Bildcollagen, die sie am Computer bastelt. Dabei ist es eine poetische Vorgehensweise, die sich Rekab für ihr bildnerisches Werk zu eigen macht. Man muss ein Wort nämlich nur lang genug anschauen und umdrehen, bis es einem fremd wird und plötzlich ungewohnt neue Bedeutungsfacetten zeigt. So hat sich die einstige Stipendiatin der Villa Waldberta eben das spezifisch deutsche Wort „Mehrfamilienhaus“ unter die Verfremdungslupe gelegt, das in dieser kompakten Form kaum in andere Sprachen zu übertragen ist.
Und siehe da: Plötzlich fragt man sich, ob wir nicht alle im metaphorischen Sinn eine Art Mehrfamilienhaus sind. Weil sich ja in jedem Einzelnen Einflüsse der väterlichen wie der mütterlichen Herkunftsfamilie überlagern, die ihrerseits auch schon Überlagerungen großelterlicher Familien sind – und so weiter. Insofern kann man, bei Bedarf, jeden Menschen als eine gigantische Collage begreifen, als Palimpsest, in dem Schicht um Schicht ein neuer Text einen älteren überdeckt.
Noch komplizierter oder interessanter wird das, wenn die Elemente der Collage aus verschiedenen Kulturen stammen, so wie bei der Künstlerin selbst, die eine irische Mutter und einen Vater aus dem westafrikanischen Sierra Leone hat. Bemerkenswert scheint, dass bei Alice Rekabs Bildern und Assemblagen, die Fotos, Digitalzeichnung und Objekte wie etwa ein altes Bett kombinieren, dieses Ineinander und Durcheinander unterschiedlicher Prägungen in einem ruppigen Art-Brut-Stil seinen formalen Ausdruck findet. Aber auch ihre plastischen Werke aus (ungebranntem) Ton faszinieren durch eine gewisse Monumentalität des Ungeschlachten. In der Sprache der Immobilienmakler heißt dergleichen dann „Liebhaberobjekt“…
Bis 14. Mai,
Di.-So. 11-18 Uhr,
Prinzregentenstraße 60;
www.villastuck.de.
Es ist Alice Rekabs erste Einzelschau in Deutschland
Die Künstlerin arbeitet auch mit ungebranntem Ton