Es ist fast so schwer, an eine Karte für ihre unterhaltsame Bühnenshow zu kommen wie an einen Therapieplatz. Stefanie Stahl, Deutschlands bekannteste Psychologin und Autorin der Sachbuchbestseller „Das Kind in dir muss Heimat finden“ und „Wer wir sind“ (beide erschienen im Kailash Verlag), gastiert mit Podcast-Kollege Lukas Klaschinski morgen Abend im Deutschen Theater in München, die Veranstaltung ist ausverkauft, mit etwas Glück gibt es Restkarten an der Abendkasse (Telefon: 089/55 23 44 44). Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt die 59-jährige Hamburgerin, warum die Psyche ins Rampenlicht gehört.
Wie lange haben Sie gebraucht, um zu erkennen, wer Sie sind?
Auf der einen Seite ist das ja ein lebenslanger Entwicklungsprozess, mit dem man nie so ganz abschließt. Auf der anderen Seite hatte ich das Glück, dass ich mich als Kind nicht über die Maßen anpassen musste. Meine Eltern haben mir viel Raum gelassen, sodass ich ich selbst sein durfte. Dadurch hatte ich eigentlich immer einen guten Kontakt zu meinen Gefühlen. Kinder, die sich sehr verbiegen müssen, haben als Erwachsene oft Probleme festzustellen, wer sie wirklich sind.
Eltern haben’s da auch nicht leicht. Wie findet man das richtige Gleichgewicht zwischen Grenzen setzen und Freiraum lassen?
Stimmt, das ist nicht immer einfach. Das Beste, was Eltern tun können, ist es, dem Kind mit Einfühlungsvermögen zu begegnen. Das bedeutet, dass man auf der Verhaltensebene Grenzen setzt und dabei emotional vermittelt: Wir lieben dich so, wie du bist, und nicht so, wie wir dich gerne hätten.
In Ihrer Bühnenshow mit dem Psychologen Lukas Klaschinski rücken Sie die Psyche ins Rampenlicht. Warum gehört sie dahin?
Körper und Psyche machen uns Menschen ja aus. Unser Bewusstsein, unsere Gefühle, unsere Wahrnehmung und unser Denken werden von der Psyche gesteuert. Und je besser wir die verstehen, desto besonnener, wohlwollender und empathischer können wir uns verhalten.
Was erwartet die Zuschauer im Deutschen Theater – eine unterhaltsame Therapiestunde?
Ja, so kann man das nennen. Wir gehen in die humorvolle Interaktion mit dem Publikum und schauen uns gemeinsam den Bauplan unserer Psyche an, den ich ja in meinem Buch „Wer wir sind“ erkläre. Es gibt Musik, es gibt viel zu lernen, aber auch einiges zu lachen.
Kann man denn Themen wie Depression, Bindungsangst und mangelndes Selbstwertgefühl humorvoll aufbereiten?
Humor ist in der Psychotherapie und in der Selbstreflexion immer ein sinnvolles Mittel, weil wir durch Humor eine gesunde Distanz zu unseren Macken bekommen. Insofern ist dieses Stilmittel durchaus heilsam.
Ihre Bücher sind Millionen-Bestseller, Podcasts zum Thema boomen, und gleichzeitig steigt die Zahl der psychischen Erkrankungen kontinuierlich an. Sind wir am Ende vielleicht zu sehr sensibilisiert?
Das glaube ich nicht. Es war höchste Zeit, dass wir uns intensiver mit diesem Thema beschäftigen. Über Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte sind wir ziemlich unsensibel und brutal mit unserer und der Psyche von Kindern umgegangen. Jetzt sind die Leute aufgeschlossener und können ihre Probleme besser formulieren. Das heißt, die Scham fällt weg, und der Mut wächst, auch mal eine Fachkraft aufzusuchen. Deshalb bin ich mir sicher: Nicht die Zahl der Erkrankungen ist gestiegen, sie werden nur besser gesehen und diagnostiziert.
Als Psychologin haben Sie die Mechanismen, wie wir ticken, durchdrungen. Passiert es Ihnen dennoch, dass Sie persönlich in alte Verhaltensmuster stolpern?
Na klar, aber das Hauptanliegen in meinen Büchern und von vielen meiner Kollegen ist ja, dass man sich gar nicht so sehr verbiegen muss, um anderen zu gefallen. Wichtig ist, dass man zu sich selbst stehen kann. Es geht nicht darum, selbstoptimiert zu sein. Auch ich falle manchmal in alte Verhaltensmuster, finde das aber gar nicht so schlimm, weil ich es erkennen und aktiv gegensteuern kann. Aber es gibt Millionen Menschen da draußen, die alles glauben, was sie fühlen und denken.
Ein Fehler?
Ja, wer sich reflektiert und weiß, dass viele Gefühle aus einer Fehlwahrnehmung und alten Prägungen entstehen, der kann sich selbst besser regulieren. Die hohe Kunst ist zu erkennen: Welches Gefühl kommt aus der gesunden Ecke meiner Psyche und welches meldet sich aus der Vergangenheit und ist in der gegenwärtigen Situation überhaupt nicht angemessen?
Lampenfieber wäre für den morgigen Freitag wohl ein angemessenes Gefühl: Auf der Bühne, vor dem Mikrofon oder vor dem Computer beim Schreiben – wo fühlen Sie sich am wohlsten?
Im Wald mit meinem Hund. (Lacht.) Nein, im Ernst: Das Schreiben ist sehr anstrengend und die Bühne aufregend, weil überall, wo man sichtbar ist, muss man ja auch noch schauen, dass man halbwegs passabel aussieht. Das ist ein zusätzlicher Stressfaktor. Insofern fühle ich mich mit dem Mikrofon einfach am wohlsten.
Das Gespräch führte Astrid Kistner.