Volker Bertelmann hat’s ehrlich versucht. Als der Komponist Sonntagnacht auf die Bretter, die Filmemachern die Welt bedeuten, tritt, will er auch mal ein bisschen Gefühl rüberbringen. „Emotion“, wie sie die Amerikaner lieben. Komponist Bertelmann tritt also auf die Bühne und sagt, was Menschen in Hollywood mit einem Oscar in der Hand eben so sagen. Dass er bei der Arbeit an der Musik für „Im Westen nichts Neues“ häufig an seine Mutter habe denken müssen. Weil die es war, die ihm einst mit auf den Weg gegeben hat, dass man, wenn man die Welt verändern möchte, zuerst bei sich selbst anfangen muss. Nun ja.
Die Gäste im Dolby Theatre applaudieren nach dieser Binse selbstverständlich überschwänglich. Aber ein bisschen peinlich berührt denkt man sich in diesem Moment schon, dass es Bertelmann einfach so schlicht hätte halten sollen wie die drei Kollegen seines Teams, die bei der Gala ebenfalls Dankesreden halten dürfen. Vier Oscars gibt’s schließlich insgesamt für „Im Westen nichts Neues“, so viele wie noch nie für einen deutschen Film (siehe Artikel unten). Und vielleicht ist der hohe Redeanteil von nicht besonders redseligen deutschen Filmschaffenden der Grund, warum diese 95. Verleihung der Academy Awards diesmal nur in sehr seltenen Momenten gefühlig wird. Die Deutschen, sie haben’s halt nicht so mit öffentlich zur Schau gestellter Ergriffenheit. Mit dem „Schmus aus dem Mustopf“, wie es Helmut Dietl einst formulierte.
Freuen tun sie sich freilich alle. Deutschland ist mit neun Nominierungen erst Favorit bei den Oscars und geht dann auch noch mit vier Trophäen heim – wo gibt’s denn so was? Manche sagen, „Im Westen nichts Neues“ habe von der schwachen Konkurrenz in diesem Jahr profitiert, andere meinen gar, der gewaltvolle Konflikt zwischen Russland und Ukraine habe Edward Bergers Antikriegsfilm auf dem Weg zum Oscar-Glück beflügelt. Weil eine emotionale Botschaft im sendungsbewussten Hollywood eben manches Mal mehr zählt als die Form. Vermutlich haben beide Seiten ein bisschen Recht. Die Neuverfilmung von Erich Maria Remarques 1928 verfasstem Roman ist handwerklich überzeugend gemacht, die Musik von Volker Bertelmann außergewöhnlich. Mit einzelnen Tönen setzt er Akzente, die stärker wirken als jeder Klangteppich. Auch James Friend wird in der Nacht zu Montag zu Recht für die beste Kamera-Arbeit geehrt, die Nürnbergerin Ernestine Hipper und ihr Kollege Christian M. Goldbeck für das Wahnsinns-Szenenbild: Ein Schlachtfeld von 400 000 Quadratmetern Größe schufen sie.
Nie begehen Regisseur Berger sowie seine Drehbuchautoren-Kollegen Lesley Paterson und Ian Stokell den Fehler, das Handeln der Deutschen oder der Franzosen im Ersten Weltkrieg zu verherrlichen; Helden gibt es hier keine. Stattdessen werden Sinnlosigkeit und Widerwärtigkeit jeder Schlacht ausgestellt. Der Film, der 2021 übrigens bereits abgedreht war und einen Krieg zeigt, der sich politisch mit dem zwischen Russland und Ukraine nicht vergleichen lässt, trifft also leider dennoch den Puls der Zeit.
Die Hauptdarsteller Albrecht Schuch, Felix Kammerer, Daniel Brühl und Co. tragen in Los Angeles blaue Schleifen mit dem Slogan „#WithRefugees“ am Revers, ein Zeichen der Solidarität mit Flüchtenden überall auf der Welt. Versteht jeder. Ganz ohne große Worte.