„Sie war eine komplett inszenierte Fake-Figur“

von Redaktion

Komponist Marc Schubring und sein neues Musical über die legendäre Tänzerin Mata Hari am Gärtnerplatztheater

Er zählt zu den erfolgreichsten und vielseitigsten Musical-Komponisten: Von Marc Schubring stammt unter anderem die Musik zu „Emil und die Detektive“, „Cyrano de Bergerac“ und „Zum Sterben schön“. Für das vom Gärtnerplatztheater uraufgeführte Werk „Gefährliche Liebschaften“ gewann er den Deutschen Musical Theater Preis in den Kategorien „Beste Komposition“ und „Bestes Musical“. An diesem Donnerstag feiert am Gärtnerplatz Schubrings neues Opus „Mata Hari“ Weltpremiere. Warum er hierzu nicht nur eine klassische, von ihm selbst orchestrierte Musical-Komposition beigesteuert hat, sondern auch zwölf Popsongs, verrät der 54-jährige Berliner in unserem Interview.

Über Mata Hari gibt es ein Dutzend Filme und mehrere Musicals. Warum haben Sie sich mit dem Texter Kevin Schroeder trotzdem an den Stoff gewagt?

Uns hat der Charakter dieser Frau fasziniert, die in Wirklichkeit Margaretha Zelle hieß, ihr unbändiger Wille zur Selbstbestimmung: Sie war eine begnadete Manipulatorin, eine Meisterin des Marketings – und Mata Hari ein Mythos, eine Kunstfigur, die Margaretha eigenhändig erschaffen hatte. Diese Dualität hat sie selbst immer wieder betont: In einem ihrer letzten Briefe an ihren Anwalt schreibt sie etwa sinngemäß, das Todesurteil ergehe nicht gegen Margaretha Zelle, sondern gegen Mata Hari. Ihrer bevorstehenden Erschießung sah sie völlig gelassen entgegen, weil sie wusste, dass sie dadurch unsterblich werden würde.

Die Biografie von Mata Hari war erlogen – ein verblüffend aktuelles Thema in Zeiten von „alternativen Fakten“…

Genau. Und gewisse Charakterzüge von Margaretha finden wir auch bei uns, die wir Social Media nutzen: Mit manipulierten Selfies präsentieren wir uns nach außen so, wie wir gern gesehen werden wollen, nicht so, wie wir wirklich sind. Mata Hari war in dieser Hinsicht eine Vorreiterin, eine komplett inszenierte Fake-Figur – und, wenn man so will, einer der ersten Popstars. Deshalb gibt es in unserem Musical zwei konträre musikalische Welten: Einerseits erzählen wir in traditioneller Musical-Form, wie die junge Holländerin Margaretha mit ihrem frisch angetrauten Ehemann nach Java geht; andererseits schildern wir den späteren Pariser Erfolg des sagenumwobenen Stars Mata Hari in Form eines Popkonzerts, wobei die einzelnen Songs sich immer wieder auf die jeweiligen Java-Szenen beziehen.

Sie haben klassische Komposition studiert. Ist es Ihnen leichtgefallen, Pop-Nummern zu schreiben?

Mein Mentor Stephen Sondheim hat stets gesagt: „Mach’ am besten das, wovor du Angst hast!“ Tatsächlich hatte ich eine Heidenangst davor, mich an Pop zu wagen. Und bei den meisten Popsongs für „Mata Hari“ musste ich je erst 30 bis 40 Versionen fabrizieren, bis ich endlich zufrieden war. Als die Tänzerinnen und Tänzer am Gärtnerplatz die Lieder zum ersten Mal hörten und ich sehen konnte, wie öfter ein Grinsen über ihre Gesichter huschte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Ich war heilfroh, dass meine ersten Gehversuche auf dem Pop-Terrain so gut ankamen, zumal die einzelnen Songs völlig unterschiedlich sind. Einer geht zum Beispiel in Richtung Billie Eilish, aber es gibt auch eine klassische Piano-Ballade – oder eine Discopop-Nummer, bei der das Gärtnerplatz-Orchester zu den im Studio produzierten Beats live wundervolle Disco-Streicher spielt.

Und dann verwandelt sich der Zuschauerraum in einen Dancefloor?

Ich denke, das dürfte nicht passieren, weil auf der Bühne so viel Tolles geboten wird, dass man vermutlich staunend sitzen bleibt. Doch der großartige Produzent Kraans de Lutin hat dafür gesorgt, dass die Musik ordentlich groovt. Wenn das Publikum also einen starken Drang verspüren sollte, aufzustehen und sich zu bewegen, dann kann ich nur sagen: Ja! Keine Hemmungen! Meinen Segen habt ihr! (Lacht.)

Das Gespräch führte Marco Schmidt.

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