Jetzt ganz stark sein, Männer. Es geht heftig zu auf Lesbos. Die lüsternen Ladys schneiden den Kerlen dort die Gemächte ab. Um sich dann gegenseitig mit den üppigen Stücken zu beglücken. Zart besaitete Herren, die Nicole Eisenmans deftige Malerei „Captured Pirates on the Island of Lesbos“ (1992) betrachten, werden vielleicht nicht gleich die Flucht ergreifen, aber mitunter nörgelnd die Köpfe schütteln. Nach dem Motto: „Was soll diese Gewalt?“ Ja, genau: Was soll diese Gewalt? Seit Jahrhunderten sind Vergewaltigung und Missbrauch Sujets der Kunstgeschichte. Aber eben fast immer: Vergewaltigung und Missbrauch von Frauen. Nicole Eisenman kehrt das in der ihr eigenen gepfefferten Art um.
Die Kuratoren Monika Bayer-Wermuth und Mark Godfrey machen in der großen Nicole-Eisenman-Schau im Untergeschoss des Museum Brandhorst also gleich einmal eine Ansage. An der linken Wand des ersten Kabinettraums kann man sehr viele Geschlechtsteile finden. Wäre das ein Such-Trinkspiel, man hätte schon jetzt leicht einen sitzen. Es sind sämtlich Werke aus der Anfangszeit der 1965 geborenen Künstlerin. Rund 100 Arbeiten von 1992 bis heute versammelt die Schau. Und zeigt, wie sich Eisenman von der jungen Künstlerin im New Yorker East Village zum internationalen Megastar entwickelte. Heute gehört sie zu den einflussreichsten künstlerischen Positionen der Gegenwart.
Chronologisch zeichnet die klug gehängte Ausstellung Eisenmans Werdegang nach. Zeigt Raum für Raum, welche Themen sie im Laufe der Jahre besonders beschäftigten. Klar ist das zugespitzt, Kuratieren heißt interpretieren. Doch auf diese Weise wird deutlich: Waren es in den Neunziger- und 2000er-Jahren vor allem Begebenheiten aus ihrem unmittelbaren Lebensumfeld – als homosexuelle Frau also vielfach aus der lesbischen Community New Yorks –, weitet sich Eisenmans Blick zunehmend. Neben der immer präsenten Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau, mit Geschlecht und Sexualität, rückt die politische Situation in den USA in den Fokus. Finanzkrise, Tea-Party-Bewegung, Weltuntergangs-geängstigte Prepper, Rechtsruck. Sehr eindrücklich etwa das rund 1,65 mal zwei Meter große „Coping“, Öl auf Leinwand, 2008. Ein Begriff aus der Psychologie. Wohl nicht von ungefähr haben es Bayer-Wermuth und Godfrey genau gegenüber einem Selbstporträt gehängt, auf dem sich Eisenman auf der Coach liegend in der Praxis ihres Vaters zeigt, eines Psychotherapeuten.
„Coping“ also. Das Wort steht für die Strategien, die ein Mensch entwickelt, um mit fordernden Lebenssituationen klar zu kommen. Die Menschen, die die Künstlerin im gleichnamigen Gemälde festgehalten hat, scheint so Einiges zu fordern. Sorgenvolle, bleiche Gesichter. Lethargie unter braunen Wolken. Und allesamt bis weit über die Knie im Schlamm. Aber dieser Schlamm, er hält sie auch zusammen. Und geht am Horizont, hinter den grünen Wiesen und sanften Bergen nicht die Sonne auf?
Dieser empathische Blick auf ihre Protagonisten zieht sich durch Nicole Eisenmans Gesamtwerk. Bei allem Witz und tiefschwarzem Humor schaut sie nie auf die Menschen, die sie mit allen ihren Fehlern zeigt, herab. Steckt ja immer auch etwas von ihr selbst drin. Von uns allen. Gern mogelt sie sich selbst in die Szenerien. Oder Freunde. Und ihre geliebten Katzen.
Dabei sind die Reverenzen innerhalb der Kunstgeschichte unverkennbar. Während ihres Malereistudiums an der Rhode Island School of Design verbrachte Eisenman auch ein Jahr in Rom. Immer wieder nimmt sie die Bildsprache der Alten Meister auf, um sie dann mit Comic und Porn, Pop-Kultur und Zeichenkunst zu mischen. Das provoziert – und macht einen Heidenspaß.
Im großen Saal kulminiert dann alles. In den riesigen Figuren der Skulpturengruppe „Procession“ gipfelt das ganze Können dieser begnadeten Künstlerin. Die es ja nicht nur auf die Herren abgesehen hat. Sondern bewusst mit dem weit verbreiteten Klischee spielt, dass eine Lesbe frustrierte Männerhasserin sein muss. Diese selbstironische Frau ist alles andere als das. Immer wieder hält sie uns den Spiegel vor. Unsere verdruckste Verklemmtheit, unsere krampfige Kommunikation, unsere schwerfällige Schwurbelei. Unser Menschsein eben. Erkenne dich selbst.
Bis 10. September
im UG des Museum Brandhorst; Di.-So. 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr.