Tapferer Schrei nach dem Leben

von Redaktion

AUSSTELLUNG Das Museum 5 Kontinente widmet sich in „From Mystic to Plastic“ alten und neuen Maskenkostümen

VON SIMONE DATTENBERGER

Der erste Eindruck: Die sind ja unfassbar schön und reichhaltig gearbeitet! Das Münchner Museum 5 Kontinente zeigt unter dem Titel „From Mystic to Plastic“ Maskenkostüme aus der Republik Bénin (nicht zu verwechseln mit dem alten Königreich Benin) und aus Kinshasa im Kongo. Und zwar zum einen in Fotoserien von Stéphan Gladieu (Jahrgang 1969), zum anderen mit Originalgewändern beziehungsweise Kunstwerken.

Stefan Eisenhofer, Ausstellungskurator und Afrika-Experte des Hauses an der Maximilianstraße, erklärt allerdings gleich, dass die beiden Gegenden so viel miteinander zu tun hätten wie „Sizilien mit Norwegen“. Und im Pressegespräch wird deutlich, dass diese Art Verhüllung und Rollenspiel universell ist (bei uns etwa bei Perchten).

Gemeinsam immerhin haben die Masken aus Bénin und der fernen Stadt, dass sie weder Folklore noch Traditionspflege sind. In dem westafrikanischen Staat sind die Maskenkostüme Bestandteil der Staatsreligion Voudou. Ohne jene und ihre auserwählten Träger könnte niemals der Kontakt zu den Ahnen einer Familie und deren Manifestation/Egungun hergestellt werden. Und auf deren Hilfe ist man in schwerwiegenden Fällen angewiesen. Folglich hat Gladieu diese Reihe „Egungun“ (2018-2020) genannt. Er durfte sich deren Kultbund annähern, viele Geheimnisse blieben indes tabu. Deswegen sind die üppigst ausgestatteten Figuren nie in ihrem Aktionsraum zu sehen.

Die Aufnahmen zeigen sie frontal, meist vor einer alten Mauer, deren Farben längst ein Eigenleben führen. Diese ungegenständliche „Malerei“ passt in ihrer Stille wunderbar zu den Kleidern, die vor Symbolik zu platzen scheinen. Sie tilgen den Träger (nur Männer) komplett inklusive Gesicht und Hände. Es gibt nicht einmal eine Gesichtslarve. Wenn es notwendig ist, mit den Verstorbenen zu kommunizieren, muss die Familie erst das Maskenkostüm in Auftrag geben. Seine Herstellung ist wie die Durchführung der Riten wenigen vorbehalten, geheim und durch die Egungun-Gesellschaft streng geregelt. Am rührendsten und seltsamsten ist wohl die Fotografie der Maske, die ein Baby wie ein Geschenk präsentiert. Die Geschichte dahinter: Kinder, deren Gesicht bei der Geburt von der Plazenta bedeckt waren, gelten als wiedergeborene Vorfahren.

Stéphan Gladieus zweites Projekt, „Homo Détritus“ (2020/21), dokumentiert Maskenkostüme, die das Künstlerkollektiv Ndaku Ya (Das Leben ist schön) in den Slums und aus den Slums von Kinshasa heraus geschaffen hat. Die Werke sind beeindruckend, erschütternd, satirisch und tatsächlich ein teils verzweifelter, teils kämpferisch tapferer Schrei nach dem Leben, das schön ist.

Müll, Müll und noch mal Müll (gerade auch unserer) ist die Substanz, aus der die Künstlerinnen und Künstler mit ästhetischer Finesse Gestalten wie „Die Kunststoff-Frau“ oder den „Reifen-Mann“ erstehen lassen. Das Spektrum der Wiederverwertung reicht von Plastikflaschen und -bechern (wird zum Blüten-Anzug) über Krawatten und Flip-Flops bis zu Rasierklingen und CDs. Hier konnte der Fotograf dann die Skulpturen in ihrem Biotop, dem räudigen Umfeld eines gesellschaftlichen Verwesungsprozesses („détritus“), pointiert inszenieren. Wobei er stets dem Objekt den Vortritt lässt, nie eitel als Fotokünstler spektakelt. Einige der fragilen und frappanten Werke von Ndaku Ya konnte das Museum 5 Kontinent realiter nach München holen – ein echter Impuls für unsere Kunstmuseen.

Bis 6. August,

Di.-So. 9.30-17.30 Uhr; erste Kuratorenführung am 2. April, 14 Uhr, kunstvermittlung@mfk-weltoffen.de; www.museum- fuenf-kontinente.de.

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