Alternative für gar nichts

von Redaktion

Dem Residenztheater glückt mit „Götz von Berlichingen“ ein großer Wurf

VON MICHAEL SCHLEICHER

Am Ende schließlich, nach etwas mehr als zwei rasanten Theaterstunden, fasst Frank Sinatra alles zusammen und singt seine Optimismus-Nummer „That’s Life“. Ja, so ist es, dieses Leben – kaum biste oben, liegste auch schon wieder auf der Nase und stehst (bestenfalls) wieder auf. Oder, wie es Goethe seinen Götz sagen lässt: „Die Bäume treiben Knospen, und alle Welt hofft.“ Was bleibt uns auch anderes übrig?

Es ist der versöhnliche Schluss eines großartigen, wilden, komischen und wüsten Abends im Cuvilliéstheater. Alexander Eisenach hat fürs Bayerische Staatsschauspiel „Götz von Berlichingen“ inszeniert, das Proto-Stück des Sturm und Drang, dessen Urfassung Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) mit zarten 22 sehr engagiert zu Papier gebracht hat. Es ist nach „Einer gegen alle“ und „Der Schiffbruch der Fregatte Medusa“ bereits die dritte Arbeit des Regisseurs fürs Residenztheater – und seine beste. Die Premiere am Donnerstag wurde heftig und lange beklatscht.

Eisenach hat die Vorlage sehr geschickt überschrieben. Zwar orientiert er sich an der Geschichte des Ritters mit der eisernen Hand – doch verschiebt er zugleich den Fokus. Goethe zeichnet das Bild eines letzten Aufrechten aus einer untergehenden Zeit, eines konservativen Anarchisten, der nicht hineinpassen will ins Staatssystem, das sich da entwickelt. Dieser ach so unabhängige Fels in der Brandung wird von den Wellen der Moderne überspült, sodass ihm nur die Hoffnung bleibt, seine Freiheit im Jenseits wiederzufinden. Dem folgt der Regisseur – und betont dabei die reaktionären Tendenzen dieses Dinosauriers, sein krampfiges Festhalten am Bekannten, seine Panik vor Neuem. Götz erinnert hier an einen jener „Wutbürger“, denen das eigene Wohl, die eigene „Bedeutung“ über alles geht. Damit verquickt ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem so fürchterlich oft bemühten Begriff „Freiheit“.

Selten sind die Verweise auf die Gegenwart etwas plump geraten, etwa wenn Götz und Franz von Sickingen darüber sinnieren, dass das Fehde-Karussell sich immerfort drehe, bis hin zu Fragen der Ernährung oder der „Art und Weise, wie wir sprechen“. Meist docken die Dialoge viel unbemerkter an unserer Gegenwart an – einschließlich des Nachdenkens über die blutige Absurdität einer jeden Revolution, wie sie (der viel zu selten gespielte) Heiner Müller in seinem Stück „Mauser“ erkannte: „Das Gras noch müssen wir ausreißen, damit es grün bleibt.“ Auch auf diesen Text greift Eisenach zurück und thematisiert obendrein all die dramaturgischen Freiheiten, die sich Goethe beim „Götz“ erstmals gönnte und dadurch die Epoche des Sturm und Drang herbeiformulierte: Literaturhistorische Fußnoten werden im Cuvilliéstheater quasi mitgespielt – ein großer Spaß, nicht nur für Theaterwissenschaftler.

Apropos Spielen und Spaß. Ersterem hat sich das Ensemble mit Hingabe verschrieben und sorgt so für Letzteren beim Publikum. Und da der „Götz“ zudem kräftig spektakelt, ist diese Produktion eben auch großer Rittersport mit Kampf, Chaos, Feuer, Slapstick. Doch funktionieren selbst leise Momente. Dafür sorgt vor allem Lukas Rüppel in der Titelrolle, der den Ritter als durchaus nachdenklichen Vokuhila-Volker formt und als Sänger dem Affen Zucker gibt.

Was aber spielt eine „junge Band aus Jagsthausen“, diese „Alternative für gar nichts“? Krachigen Punk natürlich (punktgenau und virtuos: Sven Michelson am Schlagzeug sowie Gitarrist Benedikt Brachtel). Die Musik all jener, die gegen das System aufbegehren. Der Sound der No-Future-Generation mit ihrer „Leck mich“-Attitüde. Mehr Götz geht nicht.

Nächste Vorstellungen

am 3., 10., 11. und 16. April; Telefon 089/21 85 19 40.

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