Nein, es fährt kein Zug nach Nirgendwo, sondern die Ziele sind klar benannt auf der Zugzielanzeige, die im Marstalltheater von der Decke hängt: Arabellapark steht da oder Fürstenried West, wie im richtigen Münchner U-Bahn-Leben. Und auch die Bühne von Lisa Käppler ist als weißgekachelter U-Bahnhof gestaltet – der zudem als Wartesaal des Lebens durchgeht für „die Kids“, die da stehen wie bestellt und nicht abgeholt.
Eigentlich sehen sie drollig aus in ihren „nicen Hoodies“, alle mit Kapuze auf dem Kopf wie Zwergerl oder Heinzelmännchen. Aber solche Märchenassoziationen sind hoffnungslos von gestern, denn bei den Kapuzen-Typen handelt es sich um kaputte Typen – mehr oder weniger: um Beinahe-Sebstmörderinnen und „Insta-Püppchen“, um Influencer, wechselnde „beste Freundinnen“ sowie um sogenannte Loser und Verschwörungstheoretiker, denen allen gemeinsam ist, dass sie ständig irgendwelche Parallelwelten im Internet bevölkern, Snapchat oder TikTok oder wie die Dinger sonst noch heißen.
Denn so ist sie nun mal, die heutige Jugend, das weiß man doch. Und falls die Jugend selber es noch gar nicht wissen sollte, wie sie ist, dann kriegt sie es seit eh und je gesagt von Gschaftlhubern aus der Kulturindustrie, die ihr Geld damit verdienen, dass sie Stereotypen verhökern. So wie die Autorin Julia von Lucadou, die zwar schon 40 ist, aber sich in ihrem Roman „Tick Tack“ derart penetrant an den vermeintlichen oder tatsächlichen Internet-Jargon der Teenager anbiedert, dass man aus dem Fremdschämen gar nicht mehr rauskommt.
Das Buch, erkennbar nach Marketing-Kriterien kalkuliert, erzählt die Geschichte der 15-jährigen Mette, Klassenbeste mit Hochbegabtenstipendium, die von ihren reichen Karriere-Eltern nur auf Erfolg dressiert wird. Weil die angepassten jungen Heinzelmännchen (oder -frauchen) im verbissenen Internet-Konkurrenzkampf um Likes und Follower aber das Leistungsprinzip völlig internalisiert haben, können sie ihre jugendliche Rebellenwut, anders als zu Joschka Fischers Zeiten, nicht mehr mit Steinewerfen abreagieren. Also richtet Mette ihre Aggressionen gegen sich selbst, legt sich auf die U-Bahngleise – und wird im letzten Moment gerettet.
Aus Trotz gegen die Promi-Psychologin, zu der sie daraufhin kommt, wendet das Mädel sich einem 25-jährigen Finsterling wie aus dem Musterbuch zu, der „das System zur Implosion bringen“ will und überhaupt alles Schlimme auf einmal ist: Nietzsche-Leser, Verschwörungstheoretiker, Frauenfeind, Impfgegner – und natürlich Loser. Auch vor diesem Gottseibeiuns wird Mette allerdings noch einmal gerettet, von ihrer besten Ex- Freundin, die inzwischen mit einem anderen Insta-Püppchen auf dem Damenklo rumknutscht, aber im richtigen Moment doch zur Stelle ist. Happy End, alles supi!
Ob man solche geballten Klischeeladungen auf die Bühne bringen muss, sei dahingestellt. Viel wichtiger ist, dass die jungen, talentierten Darsteller aus dem Jugendclub des Residenztheaters eine Menge Freude am Spielen zeigen bei dieser Uraufführung von „Tick Tack“, die sie mit der Theaterpädagogin erarbeitet haben. Und auch rein optisch ist die Inszenierung von Daniela Kranz eine tolle Show zum Thema „Zwergen-Invasion im öffentlichen Nahverkehr“. Heftiger Jubel.
Nächste Vorstellungen
am 25. April, 16., 22. Mai; Telefon 089/21 85 19 40.