Als ob sie nichts anderes zu tun hätte. Zum Beispiel Füße hochlegen, durchschnaufen vor dem zweieinhalbstündigen Konzert. Doch Joana Mallwitz steht im Foyer der Nürnberger Meistersingerhalle und lässt sich von einem Moderator befragen. Spielt am Flügel Details an, erzählt von Gustav Mahlers vierter Symphonie. Und Hunderte verfolgen im Halbkreis ihre Generalmusikdirektorin. Auch, weil man sie hier womöglich ein letztes Mal erlebt – dieser Abend ist ihr Abschiedskonzert.
Das spannt sich zwischen dem „himmlischen Leben“ Mahlers und „Herzensstücken“ der Chefin. Welche, das wurde vorher nicht verraten. Ohnehin hat die 37-jährige, auf dem Klassikmarkt höchst gehandelte Künstlerin Entscheidendes geschafft. Man geht in Nürnberg „zur Mallwitz“, wurscht, was sie dirigiert. Und wenn sie im Herbst entschwunden ist zum Berliner Konzerthausorchester, da werden sich an der Pegnitz noch viele die Ohren reiben: darüber, welchen Sprung die Staatsphilharmonie Nürnberg geschafft hat. Zu hören ist das auch in diesem Konzert beim Mahler-Opus, das in seiner überreichen Vielgestaltigkeit aufgedröselt wird, mit Atmosphärenwechseln auf engstem Raum, gekrönt vom Sopran-Solo Julia Grüters – erst recht aber im klingenden Überraschungsei nach der Pause.
Diesen Teil moderiert Mallwitz natürlich selbst. Mit einem zügigen, zauberschönen „Karfreitagszauber“ erinnert sie daran, dass Wagners „Parsifal“ eigentlich als ihr Abschiedswerk gedacht war – er fiel den Pandemie-Verschiebungen zum Opfer. Dazu gibt’s den offensiv genommenen zweiten Satz aus Schuberts „Unvollendeter“ – aus jenem Stück, das Mallwitz einst in den Dirigentinnenberuf trieb. Die zwei überschäumenden Sätze aus Prokofjews „Symphonie classique“ sind eine Reminiszenz an ihr erstes Nürnberger Konzert. Und die farbpralle Ouvertüre zu „Krieg und Frieden“ desselben Komponisten an ihre erste dortige Opern-Großtat. Ein Abend, an dem man seinerzeit verwundert in den Orchestergraben schaute, um sich zu vergewissern: Sitzen dort noch dieselben Musikerinnen und Musiker wie beim Vorgänger?
Kein Kurkonzert-Mix also, sondern eine kluge, hintergründig kombinierte Rückschau. Und der erneute Beweis, wie stilistisch polyglott diese Künstlerin unterwegs ist – auch das durfte man in den vergangenen fünf Jahren erfahren zwischen Strauss’ „Frau ohne Schatten“, Monteverdis „L’Orfeo“, Verdis „Don Carlos“ oder Mozarts „Le nozze di Figaro“. Dazu entwickelte Joana Mallwitz neue Formate und empfand sich wirklich als Generalmusikdirektorin für Nürnberg, nicht als ständig gastierender Star. Dass der dortige Qualitätssprung harte Arbeit war, spürt man ebenfalls. Joana Mallwitz ist in ihrem letzten Konzert wieder keine, die das Orchester am lockeren Zügel führt. So extrem ausgefeilt und energiereich die Dirigate sind, so sehr sind sie doch Werk eines Kontrollfreaks – da ist sie übrigens Kirill Petrenko nicht unähnlich. Auch der hat ja 150 Kilometer entfernt, an der Bayerischen Staatsoper, einst Basisarbeit geleistet.
In Berlin werden nun beide das Musikleben mitbestimmen. Eine Vorstellung, mit der man sich in Nürnberg nur schwer anfreunden kann. Das Publikum in der Meistersingerhalle reißt es vor der Zugabe von den Sitzen, aus dem Parkett werden Blumen nach oben gereicht, nach dem Konzert fällt Intendant Jens-Daniel Herzog im Foyer vor Mallwitz auf die Knie.
Zuvor hatte sich die scheidende Chefin auf dem Podium an ihr Orchester gewandt. Eine emotionale Ansprache, mancher im Saal fingert nach dem Taschentuch. Diese Art des Musizierens sei einzigartig: „Wie Sie auf vollstes Risiko gehen, sich vertrauen und sich auffangen.“ Alles könne man dabei vergessen. „Ich habe das so genossen“, gesteht Joana Mallwitz, um ein wenig nach Worten zu suchen, bis es aus ihr herausplatzt: „Sie sind maximal toll.“