Der Seelenlandschaftsmaler

von Redaktion

Der kanadische Singer-Songwriter Gordon Lightfoot ist im Alter von 84 Jahren gestorben

VON JOHANNES LÖHR

In den frühen Siebzigerjahren hatte Pop seine Unschuld verloren. Die lustigen Experimente der Sechziger waren Ernüchterung gewichen, statt friedlicher Hippie-Happenings machte tödliche Gewalt auf Konzerten Schlagzeilen, statt auf einen kreativen Kiffer-Trip zu gehen, schossen sich die Stars neuerdings mit Heroin ins Jenseits. Fast zwangsläufig setzte sich damals eine neue Innerlichkeit in den Charts durch. Vorgetragen wurde diese melancholische Selbstbespiegelung zu akustischer Klampfe von Liedermachern wie Joni Mitchell, Neil Young, Leonard Cohen und Gordon Lightfoot.

Sie alle (und noch einige Songwriter mehr) sind Kanadier, und man kann spekulieren, dass solche Musik eben besonders gut in einem Land gedeiht, in dem die leinwandgroßen Weiten der Prärie den Menschen und sein Treiben ganz klein machen. Ihn auf sich selbst zurückwerfen. Gordon Lightfoot hat einige der schönsten dieser Cinemascope-Songs geschrieben. Am Montag ist er im Alter von 84 Jahren in Toronto gestorben.

Lightfoot sang schon seit den frühen Sechzigern. Das womöglich beste, sicher erfolgreichste seiner Seelenlandschaftsgemälde aber war 1970 „If you could read my Mind“, sein erster internationaler Hit. Es ist kein Wunder, dass die ARD bei der Berichterstattung zu Olympia ’72 in München mit dem Lied ihre regelmäßige Zuschauerbefragung nach der schönsten Sportlerin unterlegte. Kann man heute im Fernsehen nicht mehr bringen, klar. Aber so singt heute auch keiner mehr: ein hemdsärmeliger, doch sanfter Bariton, eine melancholische Melodie, bewusst einfach gehalten. Songs wie „Sundown“ oder „Carefree Highway“ standen dem kaum nach. Elvis Presley, Barbra Streisand, Eric Clapton und viele mehr interpretierten Lightfoots Werke. Bob Dylan gab zu Protokoll, Lightfoot gehöre zu seinen Lieblingskünstlern: „Jedes Mal, wenn ich einen seiner Songs höre, wünsche ich, er könnte für immer dauern.“ Jetzt ist der Song vorbei.

Die Reaktionen auf Lightfoots Tod sind überwältigend. Die Kondolenten reichen von Beach-Boys-Legende Brian Wilson über Erfolgsautor Stephen King bis hin zu Kanadas Premierminister Justin Trudeau. „Gordon Lightfoot hat den Geist unseres Landes mit seiner Musik eingefangen“, twitterte Trudeau, „und damit die Klanglandschaft Kanadas mitgeprägt.“

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