Nach dem Tod von Wayne Shorter und dem Rückzug des greisen Sonny Rollins von der Bühne ist David Murray der bedeutendste noch aktive afroamerikanische Tenorsaxofonist. Warum ihm dieser Status zukommt, bewies der 68-Jährige eindrucksvoll mit seinem – wie Clubchef Michael Stückl in seiner Ansage verriet – bereits elften Gastspiel in der ausverkauften Münchner Unterfahrt.
Diesmal kam Murray, der vom Saxofonquartett bis zur Big Band hier schon alle erdenklichen Formationen geleitet hat, in einem seiner Lieblingsformate. Im Trio, nur flankiert vom aufstrebenden jungen Kontrabassisten Luke Stewart und dem noch gänzlich unbekannten Schlagzeuger Russell Carter, ist das die schwarze Jazztradition auf ihre Essenz reduziert: Melodie und Rhythmus, leidenschaftliche improvisatorische Selbstentäußerung auf der Basis eines aus dem Tänzerischen kommenden, treibenden rhythmischen Impulses.
Stewart als Harmonie implizierendes Bindeglied und Carter als locker mit den Metren jonglierender Energielieferant machen ihre Sache exzellent, aber natürlich fokussiert sich im Trio alles auf Murrays einzigartige Stilistik. In seinem Instrument fließt die gesamte Geschichte des Tenorsaxofons, von der sinnlichen Eleganz der Swing-Veteranen bis zur ekstatischen Emphase der Free-Jazz-Revoluzzer zu einem unverwechselbaren und schlüssigen Individualstil zusammen.
Kein anderer Tenorist verfügt über einen solchen Tonumfang, Murrays Beherrschung des Altissimo-Registers ist legendär. In Höhen, in denen andere nur noch schrille Kiekser oder Überblaseffekte produzieren, kann Murray noch perfekt intonierte flüssige Linien spielen, die dank seiner Beherrschung der Zirkularatmung auch mal ungewöhnliche Länge annehmen können.
„Let the Music take you“ singt Murray im gleichnamigen Stück (mit Ausnahme einer Ballade von Billy Strayhorn alles Eigenkompositionen), dem letzten vor der Zugabe. Und fürwahr: Wer von dieser Musik nicht ergriffen und mitgerissen wird, hat wohl gar keinen Draht zu dem, was den Jazz ausmacht.