Wer nicht hören will…

von Redaktion

CD-KRITIK Georg Nigl und Olga Pashchenko glückt mit dem Album „Echo“ ein Coup

VON MARKUS THIEL

Sehr bedrohlich kann das Leben für die Kleinsten sein. Wer nicht brav in die Kirche geht, den holt Glocke. Und manchmal hilft kein schützender Arm des Vaters – wenn der Erlkönig es auf das „ächzende Kind“ abgesehen hat. Romantischer Schauer zwischen Bizarrhumor und Horror, von Goethe in Verse, von Carl Loewe in Lieder gefasst. Balladen, um genauer zu sein, Mini-Dramen, die keine Szene brauchen, jedenfalls nicht, wenn man sie so deutet wie Georg Nigl und Olga Pashchenko. Mit ihrer ersten CD „Vanitas“ räumten sie Preise ab und wurden unter anderem im Herkulessaal geehrt. Jetzt, mit dem Album „Echo“, riskieren sie ein, zwei Umdrehungen mehr. Das Ergebnis: 76 Minuten und 53 Sekunden, die radikal Aufmerksamkeit einfordern – man hört, staunt und ist erneut verblüfft.

Was geblieben ist: die rigorose Intimität. Nigl und Pashchenko verstehen ihre Auslegungen von Schubert, Loewe, Schumann und Wolf nicht als Frontalunterricht. Sie sitzen neben uns, hautnah, manchmal glaubt man seinen Atem zu spüren. Anbiedernd ist das weniger, eher beunruhigend. Nigls Gesang bewegt sich oft am unteren Ende der Dynamikskala, eine natürliche Verlängerung des Sprechens, der Idealfall fürs Lied. Und doch kann er, wie zum Beispiel in Wolfs „Feuerreiter“, seine Stimme dramatisch hochpegeln, ohne dass ihm bei dem Stück – das unterscheidet ihn von den meisten Kollegen – die Schaumflocken vor den Mund treten. Expressivität ist beim Besonderling Nigl etwas, das sich von innen nach außen entwickelt, als Ergebnis einer Analyse von Text und musikalischen Kraftfeldern, keine hohle Inszenierung. Was bis zur kalkulierenden Belästigung des Hörers geht. Nigl und Pashchenko, auch das macht diese CD einzigartig, muss man aushalten können.

Wir erfahren, wie unendlich reich das Balladen-Biotop ist. „Echo“ spreizt sich von „Odins Meeresritt“ aus der Feder Loewes bis zu Schuberts kaum gesungener, 15-minütiger (!) „Viola“ – eine Parabel auf einen Text Franz von Schobers, in der sich ein Schneeglöcklein in der Winterkälte dem Frühling entgegenstreckt. Eine Miniatur über Hoffnungen und Enttäuschungen, bei Nigl und Pashchenko wird das zum Welttheater. Beide sind wie besessen davon, die Wirkung des ersten Mals zu erzielen. Als ob man diese Balladen und ihre teils wohlbekannten Texte noch nie erlebt hat – auch um den Preis, dass mancher dies als Grenzübertritt empfindet.

Wachsen und Werden, die Gefährdung der Kindheit und Jugend, diese Thematik zieht sich durch „Echo“. Inklusive harter Schnitte: Auf Schuberts „Der Vater mit dem Kind“, ein kitschfrei gedeutetes Idyll, folgt Loewes (nicht Schuberts!) „Erlkönig“: Wenn es dieses Wesen gibt, muss es wohl wie Nigl klingen. Am anderen Ende dieser Kindheits-Thematik steht die vergiftete Ironie von Loewes „Graf Eberstein“, ein Blaublut droht da dem Töchterlein des Kaisers kaum verklausuliert mit der Entjungferung.

Nur logisch, dass sich Olga Pashchenko nie auf eine sekundierende Rolle beschränkt. Ihr an Nuancen übervolles Spiel ist symbiotisch und Nigls Widerpart zugleich. Ein ständiger Dialog auf mehreren, oft subkutanen Ebenen. Für die meisten Lieder nutzt sie ein entsprechend farbenreiches Fortepiano, Nachbau eines historischen Instruments. Und auf dem kann sie wie in Schumanns „Soldat“ mit einem „Fagottzug“ bizarre perkussive Klänge erzeugen: So tönt die Trommel beim Gang zur Hinrichtung.

Die Erschütterungen, die beide gerade mit dieser Ballade auslösen, sind tatsächlich elementar. Und selbst in Wolfs „Rattenfänger, so heiter sich Nigl gibt, schwingt Abgründiges mit, vielleicht ist daran noch die Wiener Färbung schuld. Auch vom Klang her bewegt sich sein heller, nie sonniger Bariton abseits des Gewohnten. Eine flexible, stufenlos pegelbare Stimme, mit der Nigl jederzeit zubeißen kann.

Apropos Hugo Wolf: Der sonst nur von Connaisseuren (und Interpreten) geliebte Komponist wird bei Nigl und Pashchenko erstaunlich nahbar. Auch das spannt einen weiten Bogen übers gesamte Album. Wenn nicht mehr viel passiert, dürfte das die Lied-CD des Jahres werden.

„Echo“.

Lieder von Schubert, Loewe, Schumann und Wolf. Georg Nigl, Olga Pashchenko (Alpha).

Diese Balladen muss man aushalten können

Artikel 9 von 11