Vorne links blinkt sie geheimnisvoll vor sich hin, die KI, die Künstliche Intelligenz. Manchmal spuckt sie ein Fax aus, denn eigentlich ist sie ja nur ein stinknormaler Kopierer, wie er schon in jedem Copyshop der 80er-Jahre rumstand. Und auch das Einwohnermeldeamt, das Bühnenbildnerin Lisa Käppler als Setting für den Liederabend „Jetzt oder nie“ ins Münchner Marstalltheater gebaut hat, scheint aus derselben Dekade zu stammen: Plastikschalensitze im Wartebereich, rechts eine veritable Telefonzelle und in der Mitte ein Aufzug mit der sinnigen Aufschrift „Aufzug“.
Los geht’s aber völlig unbürokratisch mit einer Meditationsübung: „Ihr Körper wird ganz leicht und verschwindet“, erklärt uns die Lautsprecherstimme, die gerade noch gebeten hatte, die Handys auszuschalten. Wir befinden uns hier, erfährt man, nämlich im Wartesaal der Vorgeburtlichkeit und können noch mal ganz neu entscheiden, ob wir leben wollen oder lieber ungezeugt bleiben möchten.
Akustisch leicht übersteuerte Entscheidungshilfe bieten dabei „Florian Paul und die Kapelle der letzten Hoffnung“ sowie Schauspieler vom Residenztheater, die zur Musik singen: Juliane Köhler muss ein harmloses Liedchen aus Nina Hagens Vor-Punk-Ära als volkseigene DDR-Unterhaltungskünstlerin trällern. Johannes Nussbaum verschwendet sein Talent an ein drittklassiges Stück von Konstantin Wecker, und auch Anna Bardavelidze, Isabell Antonia Höckel sowie Delschad Numan Khorschid haben es kaum besser erwischt.
Denn Max Rothbart, bisher als Schauspieler am Hause tätig, überzeugt in seiner ersten Regie-Arbeit zwar durch witzige, poetisch-surreale Einfälle. Das einzige Problem seiner wunderbar hirnrissigen Sein-oder-Nichtsein-Farce besteht darin, dass sie ja als Liederabend gedacht ist, weshalb den zeitlich umfangreichsten Teil der Aufführung die Gesangseinlagen ausmachen. Aber bei denen handelt es sich meist um textlastige „Diskursschlager“, deren Stimmungspotenzial sich in engen Grenzen hält. Für einen Liederabend sind sie darum völlig ungeeignet, diese Bühnengattung braucht unbedingt Schnulzen und Schmachtfetzen.
Der Reiz eines Liederabends, der für das Theater eigentlich immer eine „gmahde Wies’n“ ist, besteht ja gerade darin, dass durch einen lockeren szenischen Rahmen die ganzen wiedererkennbaren Gassenhauer sanft und goutierbar verfremdet werden. Sodass auch wir Theatergänger uns trauen, die schmalzigen Hits endlich mal zu genießen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Dieser Wonnen der Gewöhnlichkeit wird man erst ganz am Ende teilhaftig: Nachdem die KI qualmend den Geist aufgegeben hat, darf der famose Vincent Glander so richtig aufdrehen und die Vorstellung doch noch zum Liederabend hochschrauben, wenn er Udo Jürgens’ „Merci Chérie“ schmachtet. Genau so hätte die ganze Show musikalisch gestaltet werden müssen, um uns davon zu überzeugen, dass geboren sein vielleicht doch nicht das Schlechteste ist. Das Publikum jubelte trotzdem derart frenetisch, dass immerhin zwei Zugaben raussprangen.
Weitere Aufführungen
am 15. und 17. Mai sowie am 4. Juni;
Telefon 089/21 85 19 40.