Bis die Zeit stillsteht

von Redaktion

Grigory Sokolov mit Werken von Purcell und Mozart im Herkulessaal

VON ANNA SCHÜRMER

Rappelvoll bis unter die getäfelte Decke ist der Herkulessaal gefüllt: Unten im Parkett und oben auf den Balkonen, sogar auf einem Podium am hinteren Bühnenrand drängen sich Menschen, um Grigory Sokolov zu hören. Von diesen Plätzen hinter dem Flügel ist der Blick auf den russischen Pianisten ein besonderer – weil sich eine selten erlebbare Perspektive auf die fliegenden Finger des Solisten eröffnet.

Möglicherweise ist die Programmauswahl des ersten Konzertteils eine kleine Verbeugung in Richtung britisches Königshaus – auch wenn Henry Purcell bei der Krönung von Charles III. keine Rolle spielte. Jedenfalls adelt Sokolov die ursprünglich für Cembalo komponierten Suiten des barocken „Orpheus britannicus“, indem er sie in einem meditativen Flow durchspielt, ohne abzusetzen und ohne Zwischenapplaus zuzulassen.

Innerhalb des sprudelnden Klangflusses geht der Solist enorm akzentuiert, sensibel paraphrasierend und mit einem nicht erlernbaren Gespür für dynamische Gestaltung zu Werke. Dabei ist Sokolov kein Performer im animierenden, mitreißenden Sinne. Schon längst geht es diesem Altmeister pianistischer Klangfärberei nicht mehr um Virtuosität an sich, vielmehr erzeugt dieser Berg von einem Mann mit selbstvergessenem Spiel einen Stillstand des Zeitflusses – nicht bedacht auf Effekt, aber mit immenser Wirkung.

Ähnlich introvertiert interpretiert Sokolov das Programm nach der Pause, das Wolfgang Amadeus Mozart gewidmet ist: Die große Klaviersonate Nr. 13 fließt perlend und verspielt dahin, dabei erliegt der in sich ruhende Solist niemals der Versuchung, sich übermütigen Expressionen hinzugeben. Voll Muße und Melos intoniert er in beständiger Zwiesprache mit sich selbst das überirdische Adagio in h-Moll, mit dem das Publikum in schmerzlich-schöne Klangwelten entführt wird.

Nachzuvollziehen ist das mit Blick vom Podium auf der Bühne in die Gesichter im Parkett: Manche lauschen mit geschlossenen Augen, andere blicken gespannt nach oben, wo der russische Altmeister mit wenigen Gesten und maximaler Konzentration die Ohren seiner Hörer umwirbt.

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