In der „allerbesten Zeit“ habe sie Karriere gemacht, „mit großen Kollegen“. Warum also, das pflegte Grace Bumbry zu fragen, solle sie dieser Ära nachtrauern? Offenbar war sie also, noch lange nach dem Bühnenabschied, mit sich im Reinen. Schließlich blieb die US-Amerikanerin und Wahl-Wienerin gefragt. Als Jurorin, vor allem als Pädagogin, auch als Gründerin einer Opernakademie an der Berliner Universität der Künste – schließlich hatte sie sehr viel weiterzugeben. Mit 86 Jahren ist diese Bühnenlegende nun in einer Wiener Klinik gestorben.
Allein die Tatsache, dass man Grace Bumbry nicht einordnen kann (Sopran? Mezzo?), unterstreicht ihren Ausnahmerang. Und wer sie nur auf ihren Durchbruch reduziert, wird der Bumbry nicht gerecht. Denn, ja: Sie war 1961 im Bayreuther „Tannhäuser“ die erste schwarze Venus. Dort, auf dem ehemals braunen Hügel, wo sich in den Inszenierungen noch lange germanische Phänotypen mit Blondhaarperücken tummelten. Eine Sensation war das, Wieland Wagner holte sie dafür nach Oberfranken. Dabei wurde vergessen, welch grandiose Sängerin da auf der Bühne stand. Als Meisterschülerin der großen Lotte Lehmann ausgebildet und gesegnet mit einer reichen Stimme und enormer darstellerischer Intensität. Dass die Bumbry lange nur auf ihre Hautfarbe reduziert wurde, ist ein Rassismus, der im Grunde heute noch anhält.
Geboren wurde sie 1937 in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri. Die Eltern, er Eisenbahnangestellter, sie Hausfrau, glaubten an das Talent der Tochter. Schon mit 17 gewann Grace Bumbry einen Radiowettbewerb, als sie eine Arie ihrer späteren Schicksalspartie vortrug: Ebolis „O don fatale“ aus Verdis „Don Carlo“. Eine Verrücktheit zu diesem frühen Zeitpunkt. Aber ein Stück, mit dem sie alle Tugenden ihrer Stimme vorführen konnte. Die Agilität, das substanzsatte Fundament, die mühelose Höhe. Grace Bumbry war zwar als Mezzosopranistin ausgebildet, unter anderem in Boston, doch die Stimme drängte nach oben in die Sopran-Region.
Sie selbst empfand sich schon immer als beides. Neben der Eboli und der Amneris in Verdis „Aida“ sang sie Puccinis Tosca, Strauss’ Salome oder, als Partie zwischen beiden Stimmwelten, Verdis Lady Macbeth. Herbert von Karajan holte sie als Carmen. Bei den Proben, so wird berichtet, reagierte der Stardirigent und Autoliebhaber befremdet auf den Lamborghini der jungen Sängerin – bis ihn Grace Bumbry ans Steuer ließ. „Danach waren wir gute Freunde“, erzählte sie später.
Und, noch eine Besonderheit: Das exzellente Deutsch von Grace Bumbry befähigte sie auch fürs entsprechende Repertoire bis hin zum Kunstlied. Mit ihrer Karriere war sie früh an prominenter Stelle eingestiegen. An der New Yorker Metropolitan Opera landete sie 1958 bei einem Wettbewerb ganz oben – um kurz darauf nach Europa zu gehen. Ihr Bühnen-Debüt gab die Bumbry in Basel, kurz darauf folgten London und Paris, spätestens seit dem Bayreuther „Tannhäuser“ bewegte sich Grace Bumbry im Opern-Olymp.
Zur Wahrheit gehört auch, dass die Stimme nicht allen Belastungen standhielt. Technische Probleme machte sie wett mit fast übergroßer Präsenz. Überdies gehörte Grace Bumbry nicht zu den Sängerinnen und Sängern, die von den Mikrofonen geliebt wurden. Die Platteneinspielungen geben also nur unvollkommen wieder, was die Kunst der Bumbry ausmachte. Kein Malus ist das, damit war und ist sie nicht allein – auch die Bedeutung ihrer Kollegin Julia Varady können nur diejenigen ermessen, die sie je auf der Bühne erlebt haben. Mit ihrem Furor, der auch bewusst Grenzen übertrat, riss die Bumbry Opernvorstellungen immer wieder an sich.
Nicht nur dank der Bayreuther Venus stand sie auch für die Emanzipationsbewegung und den Freiheitskampf der schwarzen Bevölkerung. Bumbry wurde zur Ikone, die man auch außerhalb der Opernhäuser verehrte – und damit zu einer der bekanntesten Sängerinnen des 20. Jahrhunderts.
1997 verkündete sie ihren Abschied von der Opernbühne – um 2010 in Paris ihr spektakuläres Comeback zu feiern. Und dies als Monisha in Scott Joplins einziger Oper „Treemonisha“. Immer wieder folgten Lieder- und Arien-Recitals, das mit dem Aufhören war nicht so einfach, wie sich die Bumbry das vorgestellt hatte. Sie empfand das Karriere-Ende als „bisschen zu früh“, wie sie vor einigen Jahren in einem ORF-Interview sagte. Und begründete den Schnitt auf ihre typisch selbstbewusste Art: Es habe einfach keine Kollegen „auf diesem Niveau“ gegeben. „Ich wollte nicht als einziger Elefant übrig bleiben.“