Schaurige Schönheiten

von Redaktion

Das Münchner Stadtmuseum und die Sammlung Goetz zeigen „(K)ein Puppenheim“

VON SIMONE DATTENBERGER

„(K)ein Puppenheim“ im Münchner Stadtmuseum. Das bedeutet nicht, dass sich das Deutsche Theatermuseum mit einer Ausstellung zu Henrik Ibsens „Nora“ an den St.-Jakobs-Platz verirrt hat. Das „Heim“ der Sammlung Puppentheater/Schaustellerei ist tatsächlich leer geräumt, weil die Generalsanierung des Gebäude-Konglomerats ansteht (so der Stadtrat sie nicht wieder bis in alle Ewigkeit verzögert).

Kein Puppenheim also? Doch, denn bis Januar 2024 können Besucherinnen und Besucher die Schätze – weltweit einer der größten – unter dem Gesichtspunkt „Alte Rollenspiele und neue Menschenbilder“ frisch entdecken. Schatzhüterin Mascha Erbelding wagt damit schon mal einen Probelauf für eine aktuelle, heutige Präsentation im „Neubau“.

Um es vorwegzunehmen: Der Testfall ist mehr als geglückt. Erbelding hat sich dabei nicht nur mit der hauseigenen Sammlung Fotografie (Rudolf Scheutle) zusammengetan, sondern auch mit der Sammlung Goetz (Karsten Löckemann, Pietro Tondello). Volkskunst, Populäres, Reklame treffen auf Kunst.

Und in der Schau wird mühelos bewiesen, dass sie zusammengehören: Varieté-Gegenstände und Skulptur, Film und Installation, Foto und Marionette, Gemälde und Theater, Theater, Theater. Wir dringen zur Quelle des Bühnenspiels vor, das auf schmutzigen Jahrmarktsbudenbrettern große Gefühle und fiese Taten, frechen Sex und schamlose Übertreibung, Grauenhaftes und Zartes verhandelt hat. Da haken die bildenden Künstlerinnen und Künstler mit Begeisterung ein und nutzen die Urformen ungeniert.

Nun, vereint in „(K)ein Puppenheim“, verwandelt sich frappierend oft die Nicht-Kunst in Kunst. Wer könnte, ohne die Beschriftung zu lesen, mit Sicherheit behaupten, dass der blitzblanke Panzer im Fünfzigerjahre-Chevrolet-Design keine Arbeit von einem satirischen Bildhauer à la Erwin Wurm sei? Erschüttert uns nicht die tiefgründige Aussage des schmerzlich zusammengesunkenen Mannes, der auf Knopfdruck kurz von einem schrecklichen Lachen hochgerissen wird? Und doch ist er eine Jahrmarkt-Paradefigur des Schaustellers Edgar Rasch aus den Siebzigern. Kunst ist einfach passiert. Nichts von alledem fällt in der Schau auseinander. Das ist das Verdienst des Kuratoren-Quartetts und nicht zuletzt des Ausstellungsarchitekten Martin Kinzlmaier.

Er legt den Rundgang durch Stationen wie „Rabenmütter und andere Weibs-Bilder“, „Clowns“, „Kriegsspiele“ und „Menschen, Monster, Sensationen“ als Irrgarten an, wie man ihn vom Oktoberfest kennt: aufregend, lustig, bedrohlich. Im Stadtmuseum ist es nicht nur Nervenkitzel, sondern wie sonst auch: Irren führt zur Erkenntnis. Dabei bleibt Kinzlmaier im musealen Raum, den manche Münchner von Kindesbeinen an lieben und immer wieder besucht haben. Die alten Guckkastenvitrinen tummeln sich Volksfeststandln gleich auf der Fläche; mal zeigen sich seltsame Gestalten bis hin zu abstrakten Maschinenfiguren, mal wird Puppenstubengemütlichkeit feministisch entzaubert, mal tun sich Marionetten- oder Kasperletheater auf. In dem drohen jedoch nicht Krokodil und Räuber, sondern Nathalie Djurbergs Animationsfilme (Knetfiguren): nichts für schwache Nerven.

Gerade die harmlosen, handlichen Formen sind ideal, um aufklärerische Schockmomente zu setzen. Neben Djurbergs Arbeiten gelingt das am nachdrücklichsten Wael Shawky mit seinen Puppentheatervideos über die Kreuzzüge und Kara Walker. Ihr Scherenschnitt-Film „Fall Frum Grace, Miss Pipi’s Blue Tale“ ist hinreißend kraftvoll – und dekontaminiert knallhart und humorvoll das rassistische Puppen-, später Schattenspiel „Casperl unter den Wilden“ von Franz von Pocci.

Bis 7. Januar 2024

Di.-So. 10-18 Uhr; sehr gutes Begleitheft zur Schau; Telefon: 089/23 32 23 70; Rahmenprogramm und Führungen online unter muencher-stadtmuseum.de.

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