Zwei Möglichkeiten gibt es für Sir Simon Rattle. Entweder er verlängert seinen Vertrag beim BR-Symphonieorchester ein zweites Mal, also über die Erstlaufdauer bis 2028 hinaus. Oder er kommt als Ehrendirigent zur Eröffnung des Konzerthauses im Werksviertel, wo er sich den Abend mit seiner Nachfolgerin oder dem Nachfolger teilt. Denn vor 2035, das wurde am Mittwoch im Kulturausschuss des Bayerischen Landtags deutlich, wird das nichts mit dem Projekt – wenn überhaupt.
Immerhin hat Kunstminister Markus Blume das Konzerthaus nicht beerdigt. Es ist ein Festhalten, verbunden mit der Verschiebung in eine ungewisse Zukunft. Man werde die Planungen „zu Ende führen“, sagte der CSU-Politiker. Doch was dann genau passiert, ob es zum Beispiel zu einer abgespeckten Lösung kommt, das ließ er offen. „Es geht halt nicht alles.“ Derzeit gebe es „dramatische andere Aufgaben, die zu stemmen sind“. Und alle, mit denen er darüber gesprochen habe, etwa Simon Rattle, BR-Intendantin Katja Wildermuth oder Grundstückseigentümer Werner Eckart, hätten für diese Situation Verständnis.
Welche Prioritäten die Staatsregierung hat, wurde bei der Aufzählung der Sanierungs- und Bau-Projekte deutlich. Blume nennt diese Liste „Kulturkaskade“. Es ist ein Nacheinander der Vorhaben, laut Blume „klug aufeinander abgestimmt“, wobei manches ineinander greifen könne. Dabei vermied es Blume weitgehend, Kosten zu nennen. Und er betonte, dass es in Bayern „keinen Sanierungsstau“ gebe. Seine Aufzählung sieht folgendermaßen aus:
Neubau des Proben- und Werkstattzentrums für das Staatsschauspiel in Steinhausen: Blume brachte hier die Zahl von 200 Millionen Euro Kosten. Sanierung der Musikhochschule: Noch 2023 soll es einen Planungsauftrag geben. Gedacht ist auch an einen Interimsbau. Sanierung des Residenztheaters plus Suche nach einer Ersatzspielstätte; dies wird wohl zu Beginn der nächsten Legislaturperiode auf den Weg gebracht. Blume nannte als mögliche Ausweichspielorte den Marstall, das Prinzregententheater oder das privat finanzierte Bergson in Aubing; Letzteres soll Anfang 2024 eröffnet werden. Sanierung des Nationaltheaters: Dieses wird laut Blume in den „30er-Jahren“ passieren. Zu Beginn der kommenden Legislaturperiode plant er eine Machbarkeitsstudie. Vor allem hier komme die Idee der „Kulturkaskade“ zum Tragen: Erst nachdem das Residenztheater aus den Interimsspielstätten wieder ausgezogen sei, könnten diese von der Staatsoper genutzt werden. Renovierung Haus der Kunst: Die Planungen starten nach Angaben des Ministers ebenfalls erst nach Zusammentreten des neuen Landtags. Nicht explizit Teil der „Kulturkaskade“ sind die Neubauten. Diese Planungen, so wurde vom Ministerium nach der Sitzung gegenüber unserer Zeitung betont, laufen parallel zu den anderen Projekten. Konzerthaus im Werksviertel: Markus Blume verteidigte die von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verkündete „Denkpause“ und gestattete sich einen Seitenhieb auf die Stadt München. Man habe schließlich im Falle der gestoppten Gasteig-Planung gesehen, „wie notwendig es ist, Dinge planvoll anzugehen“. Als nächsten Schritt regte Blume eine „kulturelle Zwischennutzung“ für das Areal an, das Riesenrad sei keine Dauerlösung. Naturkundemuseum/ Biotopia: Die Schwäche der bisherigen Konzeption sei es gewesen, das beliebte Museum „Mensch und Natur“ für acht Jahre schließen zu wollen. Wie schon im Interview mit unserer Zeitung angedeutet, bleibe das Museum bis 2028 offen; alle Pläne würden überarbeitet, auch die für den Ersatzneubau. Bezogen auf die Fläche sei „Mensch und Natur“ mit 200 000 Besucherinnen und Besuchern „eines der erfolgreichsten Museen Münchens“.
Auch wenn Blume am Mittwoch im Kulturausschuss keine Zahlen nannte, so kursieren diese doch längst. Für die Musikhochschule etwa werden 370 Millionen Euro genannt, für die reinen Baukosten beim Residenztheater 200 Millionen, für den Konzertsaal von 580 Millionen laut Planungsstand 2021 bis zu der von Ministerpräsident Söder planungstechnisch noch nicht belegten und daher auch als politisch eingestuften Zahl von einer Milliarde Euro.
Kein anderes Flächenland gibt laut Minister Blume so viel für die Kultur aus wie der Freistaat Bayern, nämlich knapp eine Milliarde Euro pro Jahr. Bei den Projekten müsse man darüber hinaus bedenken, dass sich das Publikumsverhalten radikal ändere. Es gehe also nicht nur um Sanierung oder Neubau, sondern auch um inhaltliche Konzepte.
Gerade weil die Kosten stark steigen, warb Blume für eine „neue Partnerschaft von Staat und Kommunen“, Bayern sei durchaus bereit, mehr zu zahlen, dafür müssten sich auch Städte und Gemeinden einbringen. Zudem forderte der Kunstminister ein „neues bürgerschaftliches Engagement“, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg beim Wiederaufbau des Nationaltheaters geschah. Auch deshalb will man offenbar auf die privaten Betreiber des Aubinger Kunstkraftwerks Bergson zugehen. Zudem ist seit Längerem bekanntlich auch die Paketposthalle als Interimsspielstätte für die Staatsoper im Gespräch, dort wird ebenfalls ein privater Investor tätig. Dies alles, so Blume, sei „kein Hilferuf, sondern eine Einladung“.
Grünen-Sprecherin Sanne Kurz kritisierte Blumes Liste als „zu kurz gedacht“. Man müsse mit den Kommunen gemeinsam handeln. Abgesehen davon tauche der marode Herkulessaal auf der Projektliste nicht auf. Auch Wolfgang Heubisch (FDP) monierte eine fehlende Zusammenarbeit mit der Stadt München. Die Dauerbaustelle Konzerthaus sei „kein Ruhmesblatt für den Freistaat“, in dieser Hinsicht biete das Werksviertel „einen erbärmlichen Anblick“. Volkmar Halbleib (SPD) widersprach dem Minister, der keinen Sanierungsstau erkennen wollte: „Die Hochschule für Musik ist das beste Beispiel dafür“.
Blume erwiderte, das Projekt habe für ihn „Priorität eins“. Er habe überdies prinzipiell nichts gegen Gespräche mit der Stadt. Doch zunächst müsse jeder seine Hausaufgaben machen. München habe Verantwortung für seine Kultureinrichtungen, insbesondere für den Gasteig. „Da können wir nicht helfen.“
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