Die Gewitzte

von Redaktion

NACHRUF Trauer um die Autorin Sibylle Lewitscharoff, die im Alter von 69 Jahren gestorben ist

VON SIMONE DATTENBERGER

Peng machte es 1998 mit „Pong“. Die Philosophin und Theologin Sibylle Lewitscharoff, als bulgarische Schwäbin oder schwäbische Bulgarin am 16. April 1954 in Stuttgart geboren, hatte in Klagenfurt aus ihrer romanhaften Erzählung „Pong“ vorgetragen und den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Humor hatte die Schriftstellerin also von Anbeginn an: einen, der an der Oberfläche kratzt, diese oft wund scheuert; einen, der dich hin und her rüttelt; einen, den du akzeptieren musst, um ihn genießen zu können. Ja, dieser Humor ist der des Lebens selbst, der die Verrücktheit unseres Seins beschreibt und, wenn wir darüber lesen, ein wenig erträglicher macht. Wahrscheinlich war das für die Künstlerin der Humor Gottes. Am Samstag starb Lewitscharoff, die lange an Multipler Sklerose litt, in Berlin. Ihre wagemutige Gewitztheit wird man vermissen.

Fallen Normalität und Absonderlichkeit ineinander? Gäbe es das eine ohne das andere überhaupt? Pong jedenfalls ist ein Normalo. Einerseits, andererseits nimmt er das einfach nicht wahr. Und Schöpfergott zu werden, geht ganz einfach: „Um in den glatten Bogengang der Zeit einzubrechen, schlug er den Löffel an die halbleere Kaffeetasse, und mit einem zarten scharfen Ping ward der Pong-Äon eingeläutet.“ Den Irrwitz mit Methode, den etwa Maler René Magritte oder das Absurde Theater konsequent entwickelt hatten, wandelte Sibylle Lewitscharoff in eine Poesie unserer Zeit um. Dabei blieb sie auf eine raffinierte Weise gesellschaftskritisch.

In „Pong“ analysierte sie die gar nicht lustige Realität zwischen Machismo und Patriarchat, Sendungsbewusstsein und Vernichtungs-Omnipotenz. Die Diagnose stimmt heute noch. Die Jury des Bachmann-Preises ehrte außerdem die Besonderheit von Lewitscharoffs Sprache. Die spielt mit sich selbst wie ein in sich versunkenes Kind und ist zugleich hochreflexiv mit Bezügen zur Bibel, zum kulturellen Wissensschatz, zu philosophischen Denkwelten. Kein Wunder also, dass Ehrungen wie der Preis der Leipziger Buchmesse 2009 für „Apostoloff“ und schließlich 2013 der Georg-Büchner-Preis folgten.

Im Jahr 2011 hatte die Schriftstellerin mit ihrem Roman „Blumenberg“ nicht nur dem Philosophen ein Denkmal gesetzt, sondern auch eine anrührende, gewissermaßen barock durchblutete Studie über den Tod im Leben verfasst. Die kraftvolle, gern drastische Ausdrucksweise konnte Lewitscharoff freilich heftigen Ärger einbringen. Bei den „Dresdner Reden“ hatte sie 2014 Retortenkinder als „Halbwesen“ bezeichnet und die Reproduktionsmedizin in Bezug zu medizinischen Praktiken im Nationalsozialismus gesetzt. Später nahm sie Abstand von diesen Äußerungen.

Im Grunde zeichnet Sibylle Lewitscharoffs Schaffen eine innige, vielschichtige und präzise Hinwendung zum Individuum aus. Hinreißend schön ist das im Blumenberg-Roman gelungen. Da musste der Büchner-Preis kommen. Die Künstlerin hatte in all das Leben, in all die „normalen“ Tode so klug wie zartfühlend den fürchterlichsten, den extremsten Tod, nämlich den der NS-Totalauslöschung, einbezogen. Hans Blumenberg (1920-1996) war ihr entkommen. Nun tritt ihn der Tod erneut an. Dem alten Herr schenkt die Autorin allerdings eine Schutzkraft, einen Löwen: „Was vom Lager übriggeblieben war, mußte den Löwen als Wächter passieren; der sorgte für eine Rückschau in bekömmlichen Maßen. Etwas Vogelflaum hing vielleicht am Stacheldraht, aber kein zerschundener Menschenleib.“

Lewitscharoff gewann 1998 den Bachmann-Preis

Ihr Werk zeichnet die Hinwendung zum Einzelnen aus

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