Am Anfang ist der Regen, heftig ist sein Prasseln zu hören in den Münchner Kammerspielen. Denn ohne Wasser kein Atmen, kein Bewegen, kein Lieben, kein Leben. Und deshalb beginnt „M“ von Marie Chouinard mit dem kristallklaren Plätschern auf der – den gesamten Abend über exzellent ausgesteuerten – Tonspur. Die kanadische Choreografin und ihre Compagnie feierten am Samstag im Schauspielhaus die umjubelte Europapremiere ihrer aktuellen Produktion bei Dance, dem 18. Internationalen Festival für zeitgenössischen Tanz (wir berichteten).
Seit Chouinard, die gestern 68 geworden ist, Ende der Siebzigerjahre die Bühne betrat, waren ihre Arbeiten immer auch ein Nachdenken in Bewegung über den menschlichen Körper, ein Erforschen seiner Möglichkeiten, Bedeutungen, Funktionen. Mit „M“ stößt sie nun also zum Ursprung vor, dem Atmen. Das mag zunächst grausig akademisch klingen, doch ist die Sorge völlig unbegründet: Schließlich ist diese knapp 60-minütige Performance vor allem ein unterhaltsamer, feinsinnig getakteter Spaß; obendrein ein sehr überzeugendes Zusammenspiel von Mensch und Technik.
Die bis zu elf Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne geben sich dabei ihren je eigenen Rhythmus vor. Sie vertrauen dem Mikrofon eine mehr oder minder komplexe Atemfolge an. Diese wird mit jazzigem Schlagwerk, Bassläufen und später auch mit Klängen aus dem Synthesizer angereichert, als Loop durch die Lautsprecher gejagt und vertanzt. Wer im rhythmisierten Ein- und Ausatmen sowie in den taktbewussten Bewegungen der Männer und Frauen lässige Erotik und stilisierten Sex erkennt, liegt richtig: Marie Chouinard erkundet lustvoll, sinnlich und augenzwinkernd das menschliche Miteinander. Schließlich gäbe es ohne die schönste Nebensache der Welt kein Leben.
„M“ zelebriert eben jenes, auch in der Ausstattung: Das Ensemble steckt in weiten Hosen in knalligem Neon, das direkt aus den Farbtöpfen der Neunzigerjahre hervorgezaubert zu sein scheint. Dazu tragen alle Tänzerinnen und Tänzer die gleiche signalrote Bobperücke – die Frisur war in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts Ausdruck weiblicher Emanzipation; ein Kampf, der nach wie vor noch immer nicht gewonnen ist. Da mit nackten Oberkörpern getanzt wird, ist das Heben und Senken des Brustkorbs offensichtlich, das Füllen, Leeren und erneute Füllen der Lungenflügel, ohne deren Arbeit der Organismus nicht wäre.
Ebenso wie sich die treibende Klangkulisse im Loop dreht, befinden sich auch die Körper in Schleifen wiederholender Bewegungen. Jeder und jede für sich – alle gemeinsam. Doch gibt es immer wieder sehenswerte Ausbrüche: Soli, die von Eigensinn und Individualität künden, oder es finden sich Paare, deren Körper dann den Gleichklang suchen.
Ästhetisch nutzt die Choreografin Motive aus Modern Dance, Breakdance und Hip-Hop, zitiert aber auch verspielt Gruppentänze und Stummfilmgesten. So wird „M“ zu einem bunten, intensiven Meditieren über die Kraft des Atemschöpfens, über den Moment, wenn jede Zelle mit Sauerstoff versorgt ist – und somit das Glück durch den Körper pulsiert.
Dance
läuft bis 21. Mai; Spielplan und Karten online unter www.dance-muenchen.de.