Drei Herren haben daran herumgeschraubt. Und was dabei herauskam, sorgt für den größten Pawlow’schen Reflex der Musiktheaterhistorie: Die dürftigen Sprechtexte in Beethovens „Fidelio“ treiben die Dramaturgie an den Opernhäusern regelmäßig in den Konzeptüberschuss. Hans Magnus Enzensberger hat 1974 eine Neufassung geliefert, Nikolaus Lehnhoff strich 2003 den Text komplett und vertraute in seiner Regie aufs stumme (und schlüssige!) Spiel.
Am Staatstheater Augsburg ist nun ein weiterer schraubender Herr dazugekommen, es ist der inszenierende Intendant. André Bücker hat neue Texte ersonnen und sie einem mephistophelischen Conférencier anvertraut. Der heißt treudeutsch Hermann Ludwig Müller und wird von Patrick Rupar virtuos gesprochen, gespielt, manchmal geschrien. Einmal brüllt er dem Publikum im Martini-Park das Schlumpflied entgegen. Man fällt auf die Provokation herein, es gibt Pfiffe und „Aufhören“-Rufe.
Viel Arbeit steckt in der Aufführung, keine Frage. Bücker nimmt den „Fidelio“, Feier-, Festtags- und Gedenkstück, zum Anlass, über Geschichte zu reflektieren. Auf dreifach geteiltem Video-Screen, auch mit kleinen szenischen Elementen bis zum Gartenzwerg, wird deutsche Assoziationsware über den Abend ausgekippt. Schleyer, Hitler, „Dalli Dalli“, Studentenproteste und auch malerische Flüge über Rhein, Burgen & Co.: Deutschland von oben und innen als „Fidelio“-Material. Und zu allem lädt ein riesiger goldener Totenschädel zur Meditation ein über Reichtum und Tod. Eine stringente, logische Erzählung gibt es nicht, dieser „Fidelio“ ist nur für Kenner des Stücks. Man verfolgt einen Kampf, ein Ringen mit Rohstoffen, doch die Performance läuft merkwürdig ins Leere. Sally du Randt als Leonore zuckt einmal sacht mit den Schultern. Es ist inszeniert, aber alle verstehen sie nur zu gut.
In den schlimmsten Momenten schrammt der sich plusternde Abend an der Regietheater-Parodie vorbei. Und wirft die eine große Frage auf: Wenn dem Stück mit all den Zutaten „geholfen“ werden muss, wenn man also der Vorlage so misstraut – warum spielt man „Fidelio“ dann überhaupt?
Fürs singende Personal bleiben oft nur Stereotypen. Sally du Randt scheint mit Andeutungen eines realistischen Spiels aus einem anderen „Fidelio“ hereingebeamt. Die heikle Partie, den Riesenumfang, die gefährlichen Intervalle, die aufschießende Dramatik, all das hat sie sich sehr klug zurechtgelegt und ihrer Stimme angepasst: lieber einmal mehr die Handbremse gezogen als sich mit Grenzübertritten schaden.
Alejandro Marco-Buhrmester singt die Brüll-Partie des Pizarro mit erstaunlich gefasstem, nie hohl lärmendem Bariton. Avtandil Kaspeli ist ein abendgemäß stimmstarker, etwas roher Rocco, Jihyun Cecilia Lee eine Marzelline mit Hang zu Größerem. Jonathan Stoughton hat für den Florestan imponierende Töne und etwas wenig Gestaltungsfantasie.
Große Kapellmeisterkunst ist es, wie Generalmusikdirektor Domonkos Héja mit der Akustik in der ehemaligen Industriehalle umgeht. Die Augsburger Philharmoniker dürfen Detailkunst zeigen, geraten aber nie ins Lärmen. Es ist ein weitgehend balancierter, aufgefächerter Klang. Statt treibendem Furor hört man eine behutsame Genauigkeit, ohne dass die Deutung an Wucht und Schärfe einbüßt.
Entsprechend geteilte Meinung im Publikum, das Regie-Team wurde teilweise abgestraft – und Augsburg hat sein Skandälchen.
Weitere Aufführungen
am 8., 28. Juni und 9. Juli;
Telefon 0821/324 49 00.