„Panzer, die damit beworben werden, dass sie in der Stadt operieren könnten“, dies habe ihr vor über zehn Jahren bei der Präsentation einer Waffenfirma zu denken gegeben. Das erzählt Natascha Sadr Haghighian (Jahrgang 1967) im Gespräch kurz vor der Pressekonferenz zu ihrer Ausstellung im Münchner Lenbachhaus. Ein Jahr nach ihrem Klangpfad für die Kasseler Documenta 2012 entwickelte sie die Klanginstallation „pssst Leopard 2A7+“.
Sie und ihr „Resonanzraum“ wuchsen und wandelten sich – bis heute, der Zeit des russischen Krieges gegen die Ukraine. Die Palettenplattform für „pssst Leopard 2A7+“ ist jetzt im Foyer des Museums direkt zugänglich. Auf ihr kann man 30 Stücke anhören: etwa Außenministerin Annalena Baerbocks Leoparden-Witz beim Aachener Karneval (2023) oder Therese Giehses Interpretation der Satire „Frau X“, verfasst von Erika Mann (1. Januar 1933).
Die Bremer Kunstprofessorin Sadr Haghighian ist vor allem bekannt geworden durch ihren Auftritt bei der Venedig-Biennale 2019. Sie bespielte den Deutschen Pavillon mit den Themen Flucht und Ausbeutung. Eingeprägt hat sich ihre Gestalt, die statt eines Kopfes einen Steinbrocken besaß. In Filmen wanderte das stumme Wesen durch Italien, nicht als Tourist, sondern als Zeuge von Traurigem. Einen Kontrast zu solch Stille setzt die Künstlerin in München mit ihrer Hommage an die Trillerpfeife. „Titel spielen eine ganz große Rolle“, sagt sie und verweist auf den Ausstellungstitel „Jetzt wo ich dich hören kann tun meine Augen weh (Tumult)“. Diese Pfeifen seien ihr zum „poetischen Werkzeug geworden, damit etwas neu verhandelbar wird“.
Natascha Sadr Haghighian gefällt an den Lärminstrumenten, dass „sie nicht parteiisch sind“. Und in der Tat kann man mit ihnen auf sich aufmerksam, aber auch andere mundtot machen, man kann Zorn, aber auch begeisterte Zustimmung herauspfeifen. So schön wie politisch wird das Thema mit dem Stoffbanner „Jetzt wo ich dich …“ (2023) aufgegriffen. Ein dickes rotes Pfeiferl schwebt wie ein Ufo vor Quadraten und Rechtecken, die meist schwarz-weißes Gefieder und Fell abbilden. Auf der anderen Seite wird an den verstorbenen Aktivisten Hassan Numan erinnert, der bei Demos gegen Abschiebungen die Trillerpfeife nutzte.
In der Haupthalle der Exposition – alle Zwischenwände wurden aus dem Nordtrakt entfernt – positionierten Sadr Haghighian und Kuratorin Stephanie Weber die Musikinstallation „tribut to whistle“ (2019) sozusagen als Spinne im (Kabel-)Netz und Stangenwald. Aus 48 Lautsprechern erklingen Kompositionen für Trillerpfeife von Jessica Ekomane, Maurice Louca, DJ Marfox, Jako Maron, Tisha Mukarji und Elnaz Seyedi. Eingebettet ist die Arbeit in Objekte wie Gitter, in denen sich Stoff verfangen hat, und wie zerfetzte Plastikgartenstühle, aus denen riesige blutige Zungen wachsen („naturalisierung“, 2021). Zusätzlich erinnern Fotos an den Felsen-Menschen, der zum Beispiel in Ellwangen bei der – Vorsicht, Bürokratendeutsch! – Landeserstaufnahmeeinrichtung steht.
Sie findet sich wieder auf einer der eleganten und oft beunruhigenden digitalen Zeichnungen Sadr Haghighians. Sie reflektiert, verfremdet, verdichtet mit ihnen, in ihnen und durch sie ihre „sehr, sehr tiefen Recherchen“, Themen und die Ideen dazu. Das kann bis zur verspielten Abstraktion gehen oder zur Graphic Novel. Die erzählt, dass die Benin-Skulpturen aus Zahlungsmitteln (Bronzereifen) gegossen wurden. Anton Fugger versorgte Portugals Herrscher mit dem Material, der im Königreich Benin Sklaven kaufte.
Bis 8. Oktober,
Di.-So. 10-18 Uhr, Do. bis 20 Uhr; der Film „The Broken Pitcher“ wird am 30. Juni, 7., 14., 21 Juli im Garten gezeigt (freier Eintritt); www.lenbachhaus.de.