Soundtrack für Populismus

von Redaktion

Roger Waters und seine bizarre Politshow in der vollen Olympiahalle

VON MICHAEL SCHLEICHER

Die Tonlage, in der dieses Konzert gespielt wird, ist klar, spätestens zehn Minuten, bevor Roger Waters die Bühne der Münchner Olympiahalle betritt. Ein Gericht in Frankfurt, wo die Stadt und das Land Hessen den Auftritt des Mitbegründers von Pink Floyd juristisch verhindern wollten, habe ihm bestätigt, kein Antisemit zu sein, lässt der 79-Jährige über Lautsprecher und als Einspielung auf den Videowürfeln mitteilen. Das ist zwar eine recht freie Interpretation des Richterspruchs, doch Waters meint: „Exzellent!“ Jubel und in die Höhe gereckte Arme in der vollen, nicht ausverkauften Halle. Er freue sich auf den Gig am 28. Mai in Frankfurt, so Waters weiter. Gelächter, noch mehr Jubel.

Wenige Minuten später richtet der Brite auf demselben Weg eine Botschaft an seine Kritiker: Wer zu jenen Menschen gehöre, die sagen: „Ich liebe Pink Floyd, aber Rogers politische Ansichten ertrage ich nicht“, für die gelte hier: „Fuck off!“ – verpisst euch!

Es ist das umstrittenste Konzert des Jahres – wie berichtet, demonstrieren am Sonntag rund 100 Menschen der Initiative „München ist bunt“ vor der Halle. Waters ist seit Jahren Unterstützer der BDS-Kampagne. Die Abkürzung steht für „Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen“ – Ziel ist es, Israel wirtschaftlich, kulturell, wissenschaftlich und politisch zu isolieren. BDS wurde unter anderem von Deutschland als antisemitisch eingestuft.

Anfang Februar nannte Polly Samson, Autorin, Texterin und Ehefrau von Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour, den Ex-Kollegen „antisemitic to your rotten Core“, was mit „antisemitisch bis ins Mark“ noch höflich übersetzt ist. Auch kritisierte sie ihn als „Putin-Apologet“. Tatsächlich erklärte Waters etwa, Russlands Präsident würde in der Ukraine den Faschismus bekämpfen, zudem seien die USA einer der Hauptaggressoren. Die „Mitschuld des Westens, insbesondere der USA, an der Eskalation des Konflikts ist wissenschaftlich genauestens erforscht“ heißt es denn auch auf dem Flugblatt „Roger Waters ist kein Antisemit“, das der „Salam Shalom Arbeitskreis Israel-Palästina“ verteilt. Dessen Mitglieder wenden sich auf dem Gelände gegen „München ist bunt“. Belege für die These nennt das Flugblatt nicht.

In der Halle distanziert sich die Olympiapark GmbH auf all jenen Screens, auf die sie Zugriff hat, vor und nach dem Konzert sowie in der Pause von Waters’ politischen Ansichten. Den Musiker und seine Fans ficht das nicht an. Wie er allerdings das „Fuck off“, das er seinen Kritikern hinknallt, zusammenbringt mit seinem Loblied auf die Bar als Ort der Kommunikation und des Zusammentreffens unterschiedlicher Menschen und Meinungen – das bleibt sein Geheimnis. „The Bar“ interpretiert er dann in einer entschlackten Version.

Stimmlich ist dem 79-Jährigen sein Alter mitunter anzuhören. Mit Shanay Johnson und Amanda Belair unterstützen ihn allerdings zwei fantastische Sängerinnen. Doch die Musik, ein Streifzug durch das Schaffen von Pink Floyd sowie sein Solo-Werk, scheint eh nur eine Nebenrolle zu spielen. Mehr noch: Waters degradiert seine Kompositionen zum Soundtrack für seine Politshow. Bereits der Bau der 360-Grad-Bühne zeigt das: Die Musikerinnen und Musiker befinden sich in der Mitte der bestuhlten Arena, wenden sich im Wechsel nach allen vier Seiten. Und doch nimmt man sie kaum wahr. Denn direkt über ihnen schweben mächtige Videowürfel, auf denen drei Stunden lang (eine Pause) ein visuelles Dauerfeuerwerk abgebrannt wird.

Die Konzeption zeigt, dass es eben diese Bilder und Filme sind, auf die es Waters ankommt, der übrigens das Licht- und Bühnendesign des ersten Showteils in den Farben Rot, Schwarz und Weiß hält (historisch Interessierte werden entsprechend assoziieren). Egal, ob die – äußerst brutal – animierten Szenen von staatlicher Gewalt gegen Einzelne oder die realen Fotos und Sequenzen aus der Weltpolitik – die Botschaft ist simpel und immer dieselbe: Wir gegen die. Und „die“ – das sind der Staat und seine Organe ganz allgemein, das ist die internationale Wirtschaft, der Kapitalismus („the Rich“), das sind vor allem die USA. Bilder der Präsidenten Reagan, Bush, Clinton, Obama und Trump werden mit dem Hinweis „Kriegsverbrecher“ eingeblendet. Auch Biden sei ein „War Criminal“ – und er habe damit gerade erst angefangen.

Natürlich ist es eine der vornehmsten Aufgaben von Kunst, den Mächtigen auf die Finger zu schauen, Missstände offenzulegen und zu kritisieren. Hier ist dann besonders spannend, wer in Waters’ Abrechnung nicht zu sehen ist – zum Beispiel Assad, Erdogan, Kim Jong-un, Xi Jinping, Lukaschenko oder Irans Präsident Raisi. Putin wird – immerhin – zumindest erwähnt, als Waters dafür plädiert, alle Nuklearwaffen abzuschaffen.

Nach der Pause lässt der Brite dann das Schwein (vom Cover des Pink-Floyd-Albums „Animals“, 1977) fliegen, auf dem bei früheren Konzerten auch der Davidstern zu sehen war. Nun sind darauf die Namen von Rüstungsfirmen zu lesen, darunter der des israelischen Konzerns Elbit, sowie die Slogans „Fuck the Poor“ und „Steal from the Poor – Give to the Rich“. Waters, nun im bodenlangen schwarzen Ledermantel, mit Sonnenbrille und roter Armbinde, lässt sich ein Maschinengewehr reichen und schießt auf den Ballon, Mündungsfeuer inklusive.

Er sei Pazifist und auf einer Liebesmission unterwegs – nicht auf einer des Hasses, betont er während des Münchner Auftritts, für den es am Ende Jubel und Standing Ovations gibt. „We don’t need no Thought Control“ textete Waters 1979 für den Pink-Floyd-Hit „Another Brick in the Wall“. Muss ein anderer Mensch gewesen sein. » KOMMENTAR, SEITE 2

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