„Alle sind herzlich dazu eingeladen – Ausrufezeichen“, sagt Michael Buhrs, Chef der Villa Stuck. „Eigentlich gibt’s nur ein Werk: ,The School of narrative Dance‘“, sagt Kuratorin Helena Pereña. Und Marinella Senatore betont, dass ihr das Zusammenwirken vieler Menschen untereinander und mit ihr das Wichtigste sei, und zwar hierarchiefrei.
Der Italienerin, 1977 in Cava de’ Tirreni bei Salerno geboren, widmen das Münchner Museum und das Museum der Moderne Salzburg die erste umfassende Werkschau „Marinella Senatore – We rise by lifting others“. Die gleichzeitig laufende Präsentation hätte allerdings auch „Dance first, think later“ heißen können, denn lebenslustige Bewegungsfreude sprudelt aus allen Arbeiten Senatores. Und dazu lädt sie gern ein.
Der andere entscheidende Impuls ist ein tief moralischer. Kunst ist bei dem kreativen Wirbelwind zielgerichteter Spaß: zur Verbesserung der Welt. Die Aktivistin ist politisch bis in die Haarspitzen und verinnerlicht durch ihre technisch ausgefeilten Zeichnungen nach Fotografien – „meine tägliche Meditation, mein Tagebuch“ – aktuelle und historische Demonstrationen, also die Form des öffentlichen Protestes. Dieses Öffentliche verwandelt Marinella Senatore in ihre spezielle Pop Art. Sie nutzt so ziemlich alle populären Mittel, die ihr unterkommen: Seien es die knalligen Licht-Kulissen des süditalienischen Jahrmarkts, sei es die Arte Povera oder die US-Pop-Art mit Combine Painting, sei es die Collage, sei es propagandistische Wandmalerei. Oder bunte, liebevoll gearbeitete Banner, wie wir sie etwa von Prozessionen kennen.
Und damit ist man in der Villa Stuck nicht nur am Anfang des Ausstellungsrundgangs angelangt, sondern auch beim zentralen Ereignis von Senatores Gesamtkunstwerk „The School of narrative Dance“, nämlich bei der Parade. Neben dem Format Oper („Rosas“ von 2012 mit 20 000 Mitwirkenden in Madrid, Derby und Berlin) ist der Tanz-Umzug die ideale Form, die Idee der Künstlerin Wirklichkeit werden zu lassen.
Das geht nur, wenn viele Menschen die Mit-Künstlerschaft übernehmen. Videos erzählen von solchen Paraden, die auf der ganzen Welt Blaskapellen und Balletttänzerinnen, Alt und Jung, Laien und Profis zusammengeführt haben. In München wird am 23. Juli vom Museum bis zum Odeonsplatz getanzt. Deswegen hat Buhrs, wie erwähnt, vorsorglich schon jetzt alle inklusive Schuhplattler und Wasserballettschwimmerinnen aufgefordert; Vorbereitungskurse finden im Juli statt (Informationen zur Anmeldung siehe Anhang).
Kein Wunder also, dass den großen Saal der Stuck-Villa eine riesige Tanzfläche dominiert, neben der Tutorialfilme über Bildschirme flimmern. Und beschirmt wird sie natürlich von der Licht-Pracht „Dance first, think later“. Mut machen außerdem Wandarbeiten, über die befreite Körper springen, und Fotos von eingeschworenen (Tanz-)Gemeinschaften. Dass die gemeinschaftliche Bewegungs-Fröhlichkeit sehr wohl aktuelle Schärfe bekommen kann, macht die Italienerin zum Beispiel mit ihrer Hommage an die regierungskritische russische Frauengruppe Pussy Riot klar. Unwillkürlich muss man an die Tanz- und Musikverbote beispielsweise der Taliban denken. Was den Menschen zum Menschen macht, soll ausgelöscht werden. Marinella Senatore jedoch ermächtigt ihn.
Bis 10. September
(in Salzburg bis 8. Oktober), Di.-So. 11-18 Uhr, am ersten Freitag im Monat bis 22 Uhr; Katalog (Hatje Cantz): 43 Euro; www.villastuck.de. Anmeldung zur Parade unter opencall.villastuck@muenchen.de oder 01525/79 818 64.