Kraftakt oder Götterfunke?

von Redaktion

Das Würzburger Mozartfest will mit weiterem Komponisten-Klischee aufräumen

Im letzten Satz fliegt der Laden fast auseinander. Als ob die Musik keine Lust mehr hat auf Struktur, fest gefügten Rhythmus und all die anderen Konventionen. Nur noch hingepfefferte Akkorde, bevor es in den Mittelteil des Finales geht. Man kann das sogar noch radikaler spielen als das Ostrobothnian Chamber Orchestra. Doch der revolutionärste Moment der 40. Symphonie teilt sich auch hier im halligen Kaisersaal mit. Wer denkt sich so was aus? Vor allem: Wie lange braucht man für einen solchen Einfall?

Ein paar Sekunden, so sagt es die landläufige Erzählung. Als ob Wolfgang Amadé Mozart alles zugeflogen sei, wie ein göttlicher Blitz oder, für Atheisten, wie ein schneller Griff ins Regal seines Ideen-Supermarkts. Nein, all das war Arbeit, harte sogar, so sagt es das Würzburger Mozartfest. Das lockt in diesem Jahr zwar mit dem Motto „Faszination Mozart“, schiebt dem aber drei Worte des Meisters über sein Tagwerk nach: „speculire – studiere – überlege“. Was hindeutet auf manchmal knifflige kompositorische Maloche.

Ein typisches Motto für das älteste Mozartfest Deutschlands an einem Ort, den Wolfgang nur einmal kurz erblickte. Seit vielen Jahren werden dort keine gefälligen Mozartkugeln gedreht, hier dringt man unter die Oberfläche des Schoko-Überzugs. Bis zum 2. Juli wird der Kosmos Mozart erneut vermessen. Mit Promis wie der Camerata Salzburg samt Renato Capuçon, dem Ensemble Resonanz unter Riccardo Minasi, Sopranistin Christiane Karg oder Pianistin Ragna Schirmer, „Artiste etoile“ in diesem Jahr. Aber auch mit gewitzten Formaten wie einer Disco im Bürgerbräu, einem „Figaro“ für Kinder, Pop-up Konzerten in der Altstadt oder dem „Mozartlabor“ mit seinen Podiumsrunden und offenen Proben.

Zum Start im Kaisersaal der Residenz, dem zentralen Konzertort, tritt das Ostrobothnian Chamber Orchestra den Beweis an, dass auch Finnen südländisch entflammt spielen können. Mozarts 40. Symphonie ist ein einziger sturmdrängerischer Unruheherd. Fast noch überrumpelnder, mit überfallartiger Kontrastdramaturgie, wird Carl Philipp Emanuel Bachs Streichersymphonie inszeniert. Als Mitbringsel erklingt „Into the Heart of Light“ von Einojuhani Rautavaara, eine zügig durchpulste Elegie. Zur Anti-Klischee-Aktion wird Mozarts letztes Klavierkonzert. Manche begreifen das als melancholische Rückschau, Ragna Schirmer und das finnische Kammerorchester ziehen den Gaze-Vorhang weg. Vieles kommt sehr direkt, als immer natürliche, nie demonstrative Klang-Konversation. Anderes wird zum fein nuancierten Selbstgespräch. Und auch hier, in der Durchführung des Kopfsatzes, hält das Geschehen inne. Ein Kulissenwechsel, als ob plötzlich von Schlimmem die Rede ist. Ein radikaler Moment, nur viel inwendiger als der Showstopper in der 40. Symphonie.

Stadt- und Regionalprominenz sind beim Eröffnungskonzert fast vollzählig erschienen, auch Landtagsabgeordnete. Ministerpräsident Markus Söder schickte nicht seinen Kunstminister, sondern Digitalministerin Judith Gerlach. Die ist immerhin Würzburgerin, was sie in ihrer Rede thematisiert, um dann doch in jene Klischees zu driften, die das Mozartfest gerade bekämpft.

Von den schwierigen Pandemie-Jahren hat man sich vollständig erholt. Zwei Wochen nach Vorverkaufsstart waren 80 Prozent der Tickets weg, wie Intendantin Evelyn Meining im Gespräch berichtet. „Das ist ein großer Vertrauensbeweis.“ Es ist das zehnte Mozartfest unter Meinings Ägide. Dass ihr Programm auch Angebot für Klassikneulinge sein will und muss, spiegelt sich wider in oft ungewöhnlichen Formaten. Und dennoch möchte sich die Chefin nicht anbiedern. „Die übertriebene Fokussierung auf die Nicht-Hörer halte ich für nicht gerechtfertigt. Wer und wo die sogenannten Nicht-Hörer sind, ist schwer zu ergründen, genauso wie die Frage nach deren Musikinteressen.“ Wichtig seien „kreative Angebote für Einsteiger“, also keine wahllos versprühten Lockstoffe.

Die Barockpracht der Residenz, die Lage im Maintal zwischen den Weinhängen, dazu einer der populärsten Komponisten überhaupt: Die Würzburger haben es bestimmt leichter als andere Festivals. Trotzdem versteht man sich nicht als Ort der Weltflucht in Krisenzeiten. 2016 etwa drehte sich alles um „Mozarts Europa“, zwei Jahre später widmete man sich dem Zeitalter der Aufklärung. Götterliebling (auch wenn man in Würzburg das Klischee hasst) und Gegenwart berühren sich also ständig. „Das ist doch hochpolitisch“, sagt die Intendantin. „Wir nutzen Mozart nicht als Schutzschild, um uns auf eine einsame, geschützte Insel zu begeben.“ Was vielleicht fehle, sei ein Konzertsaal für größere Ensembles. Aber inhaltlich fühlt man sich bestens gerüstet: „Mozart ist ein unendlicher humaner Kosmos, sodass unsere Themen noch locker für weitere 100 Jahre reichen.“

Informationen

zum Programm und zum Vorverkauf unter mozartfest.de.

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