Der Bestseller-Autor Stephan Thome lebt seit vielen Jahren in Taiwan – kaum ein Deutscher kennt den Inselstaat so gut wie der Schriftsteller. Seit vergangenem Jahr spricht alle Welt über seine Wahlheimat. Die Spannungen zwischen Peking und Taipeh wachsen – sowie die Sorge vor einer Invasion. Im Interview spricht Thome über mögliche Fluchtpläne, über die Identität der Taiwaner und darüber, ob er als chinakritischer Schriftsteller trotzdem noch nach Peking reisen würde.
Sie waren Austauschstudent in Nanjing, China, als Sie das erste Mal nach Taiwan gereist sind. Was hat Sie an dem Inselstaat so fasziniert, dass Sie beschlossen haben, dort zu leben?
Ich war begeistert, dass Taiwan einerseits so chinesisch war – und andererseits ganz anders als jedes Gebiet, das ich bis dahin auf dem Festland, also in der Volksrepublik bereist hatte. In vielerlei Hinsicht war die Insel sogar viel chinesischer und traditioneller als Peking selbst, allein wegen der vielen alten Tempel und der Altäre in Geschäften und Restaurants. Gleichzeitig konnte man frei leben. In Taiwan darf man sagen, was man denkt – ganz gleich, ob es regierungskonform ist oder nicht. Und das spürt man im sozialen Miteinander.
Jetzt spricht alle Welt über Taiwan und eine mögliche Invasion. Machen sich die Taiwaner Sorgen?
Natürlich gehen die zunehmenden Spannungen nicht spurlos an den Einwohnern vorbei. Aber ich glaube, die Taiwaner haben ein gutes Gespür dafür, wann es brenzlig wird – immerhin leben sie seit 70 Jahren mit dem Konflikt. Aktuell steigt die Kriegsgefahr langsam, aber es besteht noch keine akute Bedrohung. Das merkt man auch an der Stimmung im Land.
Was machen Sie, falls Krieg ausbricht?
Ich habe keine konkreten Pläne. Das sind eher Gedankenspiele, die einem manchmal durch den Kopf gehen. Ich ermutige meine Frau zum Beispiel immer wieder, Deutsch zu lernen. Ich sage dann: Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass du mal in Deutschland leben musst. Für sie wäre es schlimm, ihre Heimat zu verlieren – aber es wäre vielleicht ein kleines bisschen weniger schlimm, wenn sie sich zumindest sprachlich in ihrer neuen Umgebung zurechtfindet.
Sie wären also zur Flucht bereit?
Wir haben keinen Notfallrucksack gepackt oder so. Der Krieg würde auch nicht aus dem Nichts kommen. So etwas zeichnet sich mindestens anderthalb Jahre vorher ab. Immerhin wird genau beobachtet, wie sich die chinesischen Truppen bewegen, ob Peking vermehrt Schiffe produziert und in die Taiwanstraße schickt – all das braucht seine Zeit. Und in dieser Zeit könnten wir uns in Ruhe überlegen, ob wir nach Deutschland gehen wollen. Für die taiwanische Bevölkerung wäre der Verlust ihrer Heimat aber katastrophal.
Sie schreiben in Ihrem Buch „Gebrauchsanweisung für Taiwan“: Taiwaner sind chinesisch sprechende Japaner. Ist das die Identität der taiwanischen Bevölkerung?
In der taiwanischen Gesellschaft grenzen sich die meisten klar von China ab, auch wenn sie dieselbe Sprache sprechen. Natürlich gibt es auch Menschen, die sich stärker mit China verbunden fühlen, vor allem kulturell. Dann gibt es auch viele, die unter japanischer Besatzung aufgewachsen sind. Und die indigenen Ureinwohner, die schon viel länger auf der Insel leben. Das sind ganz unterschiedliche Strömungen. Und innerhalb dieses gemischten Weltbildes gibt es das demokratische Moment. Die Taiwaner haben ihre Demokratie gemeinsam erkämpft. Das ist der wichtigste Punkt, der Taiwaner von den Menschen in der Volksrepublik unterscheidet – wie auch immer man zu seinen chinesischen Wurzeln steht.
Reisen Sie selbst noch nach China?
Es wird immer schwieriger, ein Visum zu bekommen, das mag mit meinen Veröffentlichungen über Taiwan zu tun haben. Ich stehe aktuell ein wenig im Streit mit mir selbst. Ich würde den Kontakt ungern verlieren, auch weil ich mich in der deutschen Medienöffentlichkeit gelegentlich als Chinaexperte bezeichnen lasse. Wie kann man Chinaexperte bleiben, ohne das Land regelmäßig zu besuchen? Man muss schon den Finger am Puls halten. Ich werde es mit der Einreise also noch mal versuchen müssen.
Das Gespräch führte Kathrin Braun.