Gar nicht so schöne neue Arbeitswelt

von Redaktion

Die neue Schau „Industrial Rhapsody“ in der BlackBox der Alexander Tutsek-Stiftung

VON KATJA KRAFT

Es sind Hände, die von einem Leben voller Arbeit erzählen. Die tiefen Furchen in den Fingern zeigen: Diese Frau hat sich nicht den lieben langen Tag bedienen lassen. Sondern hat viele Jahre geschafft. 32 ganz genau genommen. So lange arbeitete Marilyn Moore, deren Hände die Fotografin LaToya Ruby Frazier bildlich eingefangen hat, bei General Motors. Die Erinnerung daran trägt Moore wie einen Ehering. Von GM wurde ihr das goldene Stück feierlich zu ihrem Renteneintritt überreicht. Dass sie sich weiterhin damit schmückt, zeigt, wie sehr sie sich mit der Firma identifiziert. Und lässt erahnen, was es für einen einzelnen Mitarbeiter und für eine ganze Region bedeuten kann, wenn ein mächtiger Arbeitgeber wie General Motors einen Standort schließt.

Spannende Fragen ploppen gedanklich auf, wenn man die Ausstellung „Industrial Rhapsody“ dieser Tage in der BlackBox der Alexander Tutsek-Stiftung besucht. Was bedeutet eigentlich Beruf? Wie sehr prägt uns unsere tägliche Arbeit? Und: In welche Richtung entwickelt sich unsere Gesellschaft durch den Einfluss technologischer Entwicklungen? Wenn Maschinen immer mehr Aufgaben übernehmen und der Mensch immer weniger wichtig wird, was macht das mit dem eigenen Selbstbewusstsein, mit dem Zugehörigkeitsgefühl innerhalb einer Arbeitsstätte. Letztlich: mit der subjektiven Bewertung der Sinnhaftigkeit des eigenen Wirkens?

Es ist die zweite Ausstellung in der BlackBox der Stiftung. Und sie passt ausgezeichnet an diesen Standort. Inmitten der sterilen, wie ausgestorben wirkenden Parkstadt Schwabing möchten die beiden Kuratorinnen Eva-Maria Fahrner-Tutsek und Petra Giloy-Hirtz mit dieser Schau auch die Nachbarn dazu einladen, über die Mittel der Kunst den Trends, denen sie folgen, (kritisch) nachzuspüren. Warum nicht in der Mittagspause einfach mal raus aus den anonymen Büros und mit den Kollegen rüber in die BlackBox? Und dort angesichts etwa der verstörenden Fotografien von Cao Fei gemeinsam hinterfragen, für wie viele Menschen das Credo der „Work Life Balance“ eigentlich tatsächlich mehr ist als bloße Behauptung.

Dabei macht die chinesische Künstlerin im Grunde nicht mehr, als den Arbeitsalltag in Industrieanlagen fotografisch festzuhalten. Das allein sorgt für Grusel beim Betrachter. In der Serie „Asia One“ aus dem Jahr 2018 beispielsweise: Einsam sieht man einen Mitarbeiter in der größten chinesischen Sortieranlage für Warenversand auf einer Maschine seine Runden drehen, in kaltes Fabriklicht getaucht; ein anderer sitzt allein vor einem grellen Computerbildschirm, hinter ihm sein einziger Ansprechpartner, ein Roboter. Mit Augen nach Kindchenschema – die in diesem Kontext seelenlos wirken.

Wie immer bei sehenswerten Ausstellungen macht’s das Zusammenspiel. Denn wenn man ein paar Meter weiter die apokalyptischen Fotografien von Sebastião Salgado erblickt, fragt man sich unweigerlich, wie sehr wir Menschlein den Geistern, die wir riefen, eigentlich gewachsen sind. In Salgados Serie „Kuwait“ kämpfen Arbeiter mit brennenden Ölquellen. Das erinnert an Krieg und Gewalt, die industrielle Anlagen bedrohen; und damit an die Abhängigkeit des Menschen davon, dass die von ihm konstruierte Welt nicht auseinanderfliegt. Verstörend – und gerade deshalb: sehenswert.

Bis 24. November

in der BlackBox der Alexander Tutsek-Stiftung, Georg-Muche-Straße 4 München; Di. bis Fr. 14-18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, an jedem erster Samstag im Monat von 11-15 Uhr.

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