Vielen, die Tacheles reden, abgezockt werden oder in den Knast kommen, ist vermutlich nicht bewusst, dass diese Wörter aus einer fast ausgestorbenen Sprache stammen: dem Jiddischen. Die Sprache der europäischen Juden, die als Folge des Holocausts beinahe ausgestorben war, erlebt derzeit in Frankreich einen Aufschwung. „Ich wollte die Sprache meines Großvaters lernen“, sagt Gilles Rozier, der einen Verlag gegründet hat, der unter anderem aus dem Jiddischen übersetzte Werke herausgibt. Er habe oft Verwunderung ausgelöst, wenn er gesagt habe, dass er Jiddisch lerne. „Die jiddische Literatur und die Lieder sind unheimlich interessant“, findet Rozier.
Vor dem Zweiten Weltkrieg war Jiddisch wichtig in Europa, wurde unter anderem in Amsterdam, London, Paris und Prag gesprochen. Es ist eine germanische Sprache mit slawischen und hebräischen Einflüssen, die mit hebräischen Schriftzeichen geschrieben wird.
„Von sechs Millionen Juden, die während der Shoah ermordet wurden, sprachen fünf Millionen Jiddisch“, erklärt Tal Hever-Chybowski, Direktor des Jiddischen Kulturhauses in Paris. „Die jiddische Sprache wurde in den Konzentrationslagern getötet, und die Überlieferung wurde abgebrochen durch das Schweigen der Überlebenden, die mit der Vergangenheit abschließen wollten“, sagt Régine Nebel, Kulturbeauftrage des Jiddischen Kulturhauses. „Aber diese Sprache ist nicht tot. Junge Menschen wollen sie lernen und praktizieren.“
Auch Netflix-Serien wie „Shtisel“ und „Unorthodox“, die aus dem Leben ultra-orthodoxer Juden in Jerusalem oder New York erzählen, haben zum Aufschwung des Jiddischen beigetragen. Kürzlich ist in den USA eine jiddische Übersetzung von „Harry Potter“ erschienen.
Anders als das Hebräische, das alleinige Amtssprache Israels ist, ist das Jiddische eine Diaspora-Sprache, die nicht an eine bestimmte Region gebunden ist. Die Zahl der Jiddisch-Sprechenden wird derzeit weltweit auf etwa zwei Millionen Menschen geschätzt. Die meisten davon sind orthodoxe Juden in den USA und in Israel.
In Frankreich sprechen etwa 10 000 Menschen die Sprache. In Deutschland dagegen nur noch sehr wenige, sagt Hever-Chybowski. Das möchte er ändern: Er organisiert regelmäßig eine Sommer-Universität in Berlin, an der bis zu 100 Studierende Jiddisch lernen. Zudem gibt es in Trier und in Düsseldorf dazu eigene Lehrstühle. kol/jes/kas/dja