Allein durch eigener Hände Arbeit kann sich mittlerweile kaum noch jemand ein Haus kaufen. Zumindest nicht im Raum München. Gleichzeitig wechseln jährlich in Deutschland mehr als 400 Milliarden Euro in Form einer Erbschaft oder Schenkung den Besitzer. Über die Hälfte des Reichtums in der Bundesrepublik sei ererbter Wohlstand, bestätigen Studien. Zu diesen Erben zählen auch die Sandmanns im neuen Roman von Georg M. Oswald, „In unseren Kreisen“. Man sitzt gerade gemütlich daheim in der Altbau-Mietwohnung in der (nicht weiter erläuterten) Stadt, als die dreiköpfige Familie vom unverhofften Geldsegen erfährt. Was der tatsächlich für sie bedeutet, dämmert ihnen erst, nachdem sie mit dem alten Diesel-VW im Nobelviertel vorgerollt sind.
Oswald knöpft sich ein brennend aktuelles Thema vor, das auch in Zukunft weiter für eine Spaltung der Gesellschaft sorgen wird. Gleichzeitig beschert er seinen Lesern mit dieser gentrifizierten Durchschnittsfamilie ein hohes Identifikationspotenzial. Erbarmungslos stellt Oswald die moralischen Überzeugungen der Sandmanns auf den Prüfstand. Der Vater Schriftsteller, die Mutter Galeristin, die Tochter gerade vorm Übertritt aufs Gymnasium. Man denkt links, pflegt ein umsichtig umweltbewusstes Bildungsbürgerdasein. Doch die vermeintlich hehren Grundsätze erodieren nach dem Zugewinn von Tante Rosis Villa und Bankkonten überraschend schnell. Mit entsprechender Finanzkraft lässt sich die eigene Zukunft ganz anders gestalten. Die des Nachwuchses sowieso. War also das vorherige Leben nichts wert?
Die Selbsttäuschung lauert, wie Oswald gerne in seinen Romanen durchexerziert, auch hier überall. Denn eine tatsächliche Kommunikation mit den elitären Nachbarn, ein wirkliches Ankommen im Reichtum findet trotz anderslautender Bekundungen der Sandmanns nicht statt. Und zu den eigenen kleinen Lebenslügen gesellen sich plötzlich noch düstere Geheimnisse vergangener Generationen. Die viel beschworene Durchlässigkeit der Gesellschaftsschichten in Deutschland, so lautet Oswalds bitteres Fazit, die gibt es nicht mehr. Wenn sie überhaupt jemals existierte.
Georg M. Oswald:
„In unseren Kreisen“. Piper Verlag, München, 208 Seiten; 24 Euro. Lesung: Georg M. Oswald stellt sein Buch an diesem Donnerstag, 19.30 Uhr, in der Münchner Seidlvilla, Nikolaiplatz 1B, vor; Anmeldung unter Telefon 089/ 1290 677 und www.tukan-kreis.de.