Claudia Roth war schon immer ein wildes Huhn. Im besten Sinne. Die heutige Kulturstaatsministerin hat mal die Rockband Ton Steine Scherben gemanagt, Theater gespielt, auf so manchem Christopher Street Day getanzt und ist auch sonst eine, mit der man sicher prächtig eine Kneipennacht weinselig durchdiskutieren kann. Politische Einstellung hin oder her: Dieser Frau kann man die Leidenschaft in allem, was sie tut, nicht absprechen. Und deshalb rührt es schon ein bisschen, wie die Grüne sich nun für den Kulturpass eingesetzt hat. Als könnte sie es nicht ertragen, dass die jungen Leut’ heute durch das ganze digitale Gedaddel um analoge kollektive Erlebnisse gebracht werden, wie Roth sie selbst – Jahrgang 1955 – erlebt hat.
Also gibt’s jetzt auf ihre Initiative hin 200 Euro für jeden im Jahr 2005 in Deutschland Geborenen. Das sind rund 750 000 Menschen. Sie alle können sich ab heute per App für den Kulturpass registrieren und damit dann Tickets für Kulturveranstaltungen oder -träger wie Bücher oder CDs kaufen. Der Haushaltsausschuss des Bundestags stellt dafür in diesem Jahr 100 Millionen Euro zur Verfügung, die Mittel kommen aus dem Kulturetat des Bundes. Man erweitert also die Perspektive der Kulturförderung, unterstützt nicht nur die Veranstalter, sondern sorgt auch bei den möglichen Konsumenten dafür, dass sie das nötige Kleingeld auf dem Smartphone haben, um sich die kulturellen Angeboten leisten zu können.
Nun ist das mit den Angeboten noch so eine Sache. Bisher haben sich deutschlandweit knapp 4900 Institutionen und Unternehmen mit etwa 1,6 Millionen Angeboten angemeldet. Die Zahl allein der Museen, Kinos und Buchhandlungen in Deutschland liegt bei rund 14 000. Roth ist wie immer optimistisch: „Wir sind erst am Anfang, die Zahl der Anbieter und Angebote kann sich aber jetzt schon sehen lassen, weil auch unsere kulturelle Vielfalt sichtbar wird“, betont sie zum Auftakt.
Tatsächlich muss sich das neue System wohl erst einruckeln. Bei der Bayerischen Staatsoper beispielsweise freut man sich zwar über die Chance, durch den Kulturpass künftig möglicherweise neue Gesichter in den Zuschauerreihen zu haben. Doch bis man in der App auch Tickets fürs Münchner Nationaltheater buchen kann, dauert es noch etwas. „Wir möchten gern teilnehmen, müssen aber erst unser internes System auf das neue Ticket umstellen“, erklärt Michael Wuerges, Pressesprecher der Bayerischen Staatsoper, auf Anfrage. Im Residenztheater ein paar Meter weiter ist dies schon gelungen. „Wir freuen uns sehr über den Kulturpass. Die Registrierung als Anbieter war unkompliziert – jetzt sind wir gespannt auf den Praxistest und darauf, wie viele junge Menschen künftig den Pass nutzen werden, um bei uns Tickets zu kaufen“, sagt Katinka Holupirek vom Staatsschauspiel.
Oper, Ballett, Sprechtheater – Kultur, klar. Und wie ist es mit anderen Angeboten? Für die App ist beispielsweise Buch gleich Buch. Heißt: Es ist völlig egal, ob ich mir von dem Geld im Bücherladen um die Ecke einen Band mit Koch- und Backrezepten oder lieber Goethes „Wahlverwandtschaften“ kaufe; wenn ich aufs Konzert gehe, kann ich durch den Kulturpass Megastars wie Ed Sheeran genauso unterstützen wie die junge Nachwuchsband im örtlichen Kulturzentrum (so dieses in der App registriert ist). „Alles, was legal ist, kann mit den 200 Euro erworben werden, es gibt keinen pädagogischen Ansatz bei der Auswahl. Wir definieren den Kulturbegriff breit“, sagte Roth bei der Präsentation des Passes.
Einzige Bedingung ist die analoge Beschaffung des Kulturgenusses. Klingt widersprüchlich, weil man die Tickets ja über die digitale App bestellt. Aber: Bestellt werden können eben nur analoge Waren. Claudia Roth: „Wir setzen auf Live-Erlebnisse, deswegen gibt es etwa keine Streaming-Dienste.“ Was es mit „Live-Erlebnis“ zu tun hat, eine CD im Laden abzuholen, die man dann ja doch wie die Musik der Streamingdienste daheim anhört, ist nicht so richtig klar. Bei Video-Streamingdiensten freilich schon. Statt Filme immer nur auf Netflix und Co. anzuschauen, sollen die Jugendlichen sanft dazu ermuntert werden, das heimische Sofa mal wieder für einen Besuch im Lichtspielhaus zu verlassen. Die Münchner City Kinos etwa haben sich bereits für die App registriert, hier hapert’s lediglich noch etwas bei der internen Software-Umstellung. „Doch bald geht es auch bei uns los mit dem Kulturpass. Wir freuen uns darauf und stellen die Info auf unsere Homepage, sobald man bei uns mit dem Pass zahlen kann“, sagt Holger Trapp vom City.
Das Pilotprojekt des Bundes, es kann beginnen. Bei erfolgreichem Verlauf soll es fortgesetzt und erweitert werden. Damit noch mehr antreten zur Passkontrolle: für einen Ausflug in unsere wunderschöne Kulturlandschaft.
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Für den Kulturpass
können sich im Jahr 2005 geborene Menschen ab heute anmelden unter
www.kulturpass.de.