Es ist Jahre her, doch hallte dieses München-Gastspiel des Kopenhagener Betty Nansen Teatret bei jenen, die dabei waren, lange nach. Der spanische Regisseur Calixto Bieito hatte in Dänemark „Voices“ erarbeitet; die Collage aus Text, Schauspiel und Musik war 2011 ins Cuvilliéstheater eingeladen. Eine dieser „Stimmen“ damals auf der Bühne nutzte Texte von Cormac McCarthy. Es war eine düstere Produktion, die jedoch nie im Schmerz abzusaufen drohte. Damit drang die Inszenierung auch zum Kern der Literatur des US-Autors durch. Wie in einem Teil der gestrigen Ausgabe vermeldet, ist McCarthy nun in Santa Fe im US-Bundesstaat New Mexico gestorben. Er wurde 89 Jahre alt.
Der Schriftsteller war ein echter Einzelgänger, der große Monolith der US-Literatur. Stilistisch, persönlich. Und Letzteres nicht etwa aus Marketinggründen – sein Ruf war McCarthy herzlich wurscht. Mit dem Kulturbetrieb wollte er schlicht nichts zu schaffen haben, auch nicht, als endlich der Erfolg, die Verfilmungen, die Preise kamen. Keine Lesungen, keine Signierstunden und so gut wie keine Interviews. Das waren seine Bedingungen. „Ich bin eigentlich einfach nur sehr egoistisch und will mein Leben genießen.“
Cormac McCarthy kannte die andere Seite des Geschäfts. 1933 wurde er im US-Bundesstaat Rhode Island in eine kinderreiche Anwaltsfamilie geboren, aufgewachsen ist er in Knoxville, Tennessee. In den Fünfzigern studierte er Kunst, ging für vier Jahre zur Armee, studierte hernach weiter. Beendet hat er die Uni nie, jobbte und schrieb stattdessen. Die Hälfte seiner Zeit bei der Air Force verbrachte er übrigens in Alaska – möglich, dass er dort jene Einsamkeit erlebte, die häufig die größte Widersacherin der Figuren in seinen Texten ist.
Von der Literatur leben konnte McCarthy lange nicht, obwohl er rasch treue Leser hatte. Armut und Entbehrungen bestimmten seinen Alltag, als 1965 sein Debüt „Der Feldhüter“ erschien. Das Manuskript hatte er an Random House geschickt, angeblich der einzige Verlag, den er damals kannte.
Dieser Autor macht es seinen Leserinnen und Lesern alles andere als leicht, übertriebenen Optimismus findet man in seinem Werk nicht. McCarthy leuchtet vielmehr in die düsteren Ecken des amerikanischen Traums. Ihn interessieren die Ausgestoßenen, jene, die unter die Räder gekommen sind – und daher oft umso heftiger um sich beißen. Das ist häufig blutig, abstoßend, brutal. Dennoch schimmert unter Hass und Hoffnungslosigkeit mitunter auch so etwas wie Menschlichkeit, zumindest aber ein aufrichtiges Interesse an den Gescheiterten durch.
Etwa an einem Typen wie Lester Ballard im dritten Roman, der 1973 erschien. Ballard war zeitlebens ein Außenseiter, im Tennessee der Sechzigerjahre. Als sein Elternhaus zwangsversteigert wird, verlässt er die zivilisierte Welt für immer, physisch und psychisch. Er zieht in die Wälder, lebt in Höhlen, wird zum Serienmörder und Nekrophilen. Ist er dennoch „ein Kind Gottes“, wie es der Romantitel nahelegt? „Es gibt einfach kein Leben ohne Blutvergießen“, erläuterte der Autor einmal in einem seiner seltenen Interviews. Das Schreiben verglich McCarthy damals mit Jazzmusik. „Sie kreieren das, während sie spielen, und vielleicht können das nur die verstehen, die das machen.“ Er grübele so lange über Ideen, bis der Drang komme, sie aufzuschreiben. „Meine Hände übernehmen dann das Denken. Das ist kein bewusster Prozess.“ Sein Stil ist klar, exakt, schnörkellos – beeindruckend durch Sprache, Struktur, Dramaturgie.
Das wusste Hollywood zu schätzen, durch die Kino-Adaptionen seiner Bücher wurde Cormac McCarthy jenseits seiner Fangruppe bekannt. „All die schönen Pferde“ (1992), der erste Band der „Border“-Trilogie, die seinen literarischen Durchbruch markierte, gewann den National Book Award und wurde mit Matt Damon und Penélope Cruz verfilmt. Die Coen-Brüder brachten „No Country for old Men“ aus dem Jahr 2005 auf die Leinwand und gewannen mit ihrer Interpretation vier Oscars. Und sein bekanntester Roman „Die Straße“, eine Vater-Sohn-Geschichte in einem Amerika nach der Apokalypse (was sonst?), gewann nicht nur den Pulitzer-Preis, sondern fand mit Viggo Mortensen, Robert Duvall und Charlize Theron ebenfalls den Weg in die Lichtspielhäuser.
Nachdem dieses Buch 2006 im Handel war, meldete sein Autor sich völlig ab. Für 16 Jahre schwieg McCarthy, bevor er im vergangenen Jahr „Der Passagier“ und „Stella Maris“ vorlegte. Zwei Romane, die sich aufeinander beziehen und von Geschwistern handeln. Außenseiter, klar. Denn deren Anwalt blieb er bis zuletzt.