Abschieds-KISS für München

von Redaktion

KÖNIGSPLATZ 1 Die US-Hardrocker sagen vor 17 000 Fans „Auf Wiedersehen“

VON MICHAEL SCHLEICHER

Und für einen Abend liegt Las Vegas tatsächlich an der Isar. KISS verabschieden sich von „Munchen mit Umlaut“, wie Gene Simmons zum Auftakt bemerkt – und 17 000 Fans feiern auf dem Königsplatz mit; mehrere hundert Zaungäste finden sich zudem in den umliegenden Straßen. Das musikalisch spannendere Pro-gramm bot am Tag zuvor zwar Hubert von Goisern (siehe Artikel unten) – die ausgelassenere Party fand jedoch am Samstag statt.

Nach 50 Jahren soll tatsächlich Schluss sein mit KISS, sollen die Gesichter abgeschminkt und die Rüstungen abgelegt werden. Das ist der Plan – wer aber mitzählt: 2019 hat sich die Band schon einmal von München verabschiedet, ebenfalls auf dem Königsplatz. Nun wird die „End of the Road“-Welttour wirklich enden; am 2. Dezember ist Finale im Madison Square Garden in New York.

Es ist ein feiner Zug von Paul Stanley, Gene Simmons, Tommy Thayer und Eric Singer, vorher nochmals hier vorbeizuschauen: Der Auftritt vor vier Jahren war klasse – das Konzert jetzt besser. KISS, das ist gut geöltes Entertainment, das ist Flammen- und Kunstblutspucken, Fliegen überm Publikum, furioses Feuerwerk, Licht, Lärm, Spektakel, auf den Punkt inszeniert. Bei der Pyrotechnik drängt sich der Eindruck auf, dass die vier Herren vor der Rocker-Rente die Lager leeren wollen. Viel Jahrmarkt also, ein bisschen Geisterbahn – „Psycho Circus“ eben. Doch keine Angst: Die spielen nur.

Und wie! Kurz nach 20.30 Uhr erbebt der Platz vom wohlbekannten Intro „You wanted the Best, you got the Best“ (Nein, Bescheidenheit hat bei dieser Show nichts verloren) und vom Basswummern, das Kanonenschläge unterbrechen. Dann fällt der „final Curtain“ und The Demon (Simmons), The Starchild (Stanley) sowie The Spaceman (Thayer) schweben auf Ufos aus dem Bühnenhimmel herab, derweil das Schlagzeug von The Catman (Singer) Funken speit. Die Musiker eröffnen den Abend mit „Detroit Rock City“, haben das Publikum (wie stets bei KISS: viel Rocker-Nachwuchs im Kindesalter) sofort am Schlafittchen und lassen es die folgenden 21 Songs nicht mehr los. „Munchen, can you get crazy?“ Was für eine Frage! Munchen can: die Hand zur Pommesgabel geformt – und ab durch die Mitte. Erste Höhepunkte: „Deuce“ und „War Machine“.

Besonders stark sind dieses Mal die Soli. Ob es das Gitarren-Zwiegespräch von Stanley und Thayer ist, oder dessen Part nach „Cold Gin“, bei dem er mit der Gitarre die Scheinwerfer abschießt. Ob es Simmons’ von wildem Augenrollen und ordentlich Kunstblut begleitetes Bass-Bearbeiten vor „God of Thunder“ ist, oder Singers treibendes Doublebass-Spiel, das es ihm gestattet, sich mit dem Handtuch den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen, derweil er mit beiden Füßen den Rhythmus weiter und immer weiter treibt.

Ein würdiger Abschied also, ohne nennenswerte Verschleißerscheinungen. Und zudem ein Auftritt, der für mehr steht als nur für ein Rockkonzert. Denn die Mutter von Simmons, der als Chaim Witz geboren wurde, wurde 1945 aus dem KZ Mauthausen befreit, während Stanleys Familie 1937 im letzten Moment aus Berlin fliehen konnte: Die Nachkommen zweier Schoah-Überlebender feiern in München also ein lautes Fest – auf jenem Platz, auf dem die Nazis einst ihre Kundgebungen abhielten. Manchmal kann Geschichte gerecht sein.

Dabei erinnert diese Party ein bisschen an einen Abend am Einarmigen Banditen im Casino. Es geht los und – Zack! – sind zwei Stunden vorbei. Was für ein Spaß! Bis zum nächsten Mal. Oder?

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