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von Redaktion

Nele Stuhler und Jan Koslowski bleiben am Volkstheater hinter dem Potenzial von „Pension SchöllerInn!“ zurück

VON ULRIKE FRICK

Was ist normal, was ist verrückt? Die Grenzen zwischen geistig gesund und krank sind längst fließend, und wo genau sie verlaufen, ist nicht immer leicht zu erkennen. Mit dieser Erkenntnis spielt die 1890 in Berlin uraufgeführte Boulevardkomödie „Pension Schöller“ von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby: Der reiche Onkel Philipp Klapproth aus Kyritz an der Knatter will bei seinem in Berlin lebenden Neffen Alfred, den er seit Jahren aushält, endlich einmal etwas erleben – am liebsten würde er die Insassen einer Irrenanstalt kennenlernen. Kurzerhand spielt der Neffe ihm großes Theater vor.

Was ist normal, was ist verrückt? Das ist auch heute noch keine einfach zu beantwortende Frage, und nach wie vor bestens geeignet für einen schnell erzählten Schwank. Das Berliner Regieteam Nele Stuhler und Jan Koslowski hat das langlebige Lustspiel fürs Münchner Volkstheater jetzt erst einmal munter durch den Cross-Gender-Besetzungs-Mixer gedrückt und zeitgemäß aufbereitet. Diese aktuelle Überschreibung passt ziemlich gut, schließlich hält heutzutage jeder mindestens jeden Zweiten für überdreht oder minderbemittelt, und im Burn- oder Bore-out zu sein zählt längst zum guten Ton. Kein Wunder also, dass Onkel Klapproth (großartig mit Pompadour-Perücke: Anne Stein) sich in einer nur noch aus Selbstoptimierung und maximaler Effizienz bestehenden Welt nach „ganz normalen Leuten“ sehnt. Die finden sich in der zum Resilienz-Start-up hochgejazzten Pension, die jetzt genderkorrekt als „SchöllerInn“ bewortspielt wird.

Es stecken viele spannende Ansätze in der traditionellen wie auch in der modernisierten Fassung, wodurch sich die anhaltende Beliebtheit und die zahlreichen Leinwandadaptionen der „Pension Schöller“ erklären lassen. Frank Castorf erkannte einst etwa im Text in erster Linie die Spießbürgerlichkeit des Nationalsozialismus. Nele Stuhler und Jan Koslowski konzentrieren sich am Volkstheater nun auf die grellbunte, von Anglizismen trunkene Achtsamkeits- und Wellness-Welt, in der ein kleines Leiden hier oder da unbedingt erwartet wird. „Wer keine Symptome hat, hat gar nichts mehr“, resümiert Pensionsbetreiberin Madame Schöller (Brigitte Cuvelier) einmal.

Allerdings vertrauen Stuhler und Koslowski zu wenig auf die kluge Kraft und den unbestreitbar vorhandenen Schmiss dieser Komödie – und leider auch nicht auf ihre eigene, sehr sinnige und anspielungsreiche Umarbeitung oder auf die originelle Ausstattung von Marilena Büld (Kostüme) sowie von Sina Manthey und Marlene Lockemann (Bühne). Stattdessen setzen sie zu viel auf lässliche Mätzchen wie die überflüssige Videoleinwand. Dabei hätten sie dem großartigen Ensemble ruhig mehr zutrauen dürfen. Am besten ist „Pension SchöllerInn!“ nämlich, wenn die Schauspieler in den Vordergrund treten können: Zu Beginn etwa beim sehr witzig betexteten Chorgesang vor dem Vorhang. Später immer dann, wenn das zu oft in Hektik mündende hohe Tempo einzelnen Figuren kurzzeitig einmal etwas Raum zur Entfaltung lässt.

Nächste Vorstellungen

am 26. Juni, 6. und 8. Juli; Telefon 089/523 46 55.

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