Er galt als Enfant terrible der britischen Literaturszene, wird inzwischen aber längst als Elder Statesman geschätzt. Ian McEwan ist bekannt für seine raffinierte Darstellung von komplexen und oft dunklen Gefühlen – heute herrscht indes ein freudiges vor: Der Autor feiert seinen 75. Geburtstag.
McEwans jüngster Roman „Lessons“ erschien im vergangenen Herbst und beginnt im Oktober 1962 während der Kubakrise. Der 14-jährige Roland hat ein Verhältnis mit seiner Klavierlehrerin, das sein Leben nachhaltig beeinflussen wird. Der Autor hat ein Faible für solche Charaktere. Das Seelenleben des zeitgenössischen britischen Durchschnittsmannes ist seine Spezialität. In den vergangenen 45 Jahren hat er 17 Romane veröffentlicht, etwa „Der Zementgarten“ (1978), „Der Trost von Fremden“ (1981) und „Abbitte“ (2001). Alle drei wurden später verfilmt. Außerdem schrieb der Brite zahlreiche Kurzgeschichten.
Ian McEwan wurde 1948 in Aldershot, Hampshire, geboren. Seine Kindheit war von der Militärkarriere seines Vaters geprägt. Die Familie zog häufig um. Dieses nomadische Dasein sowie der Kontrast zwischen dem reglementierten Leben einer Militärfamilie und den verschiedenen Kulturen, die der junge Ian kennenlernte, prägten seine Werke. In den Siebzigern veröffentlichte McEwan erste Kurzgeschichten, die ihm den Spitznamen „Ian Macabre“ einbrachten. „Erste Liebe, letzte Riten“ oder „Zwischen den Laken“ erregten durch ihre verstörenden Themen Aufsehen.
„Der Zementgarten“ machte ihn 1978 weltbekannt. Der Roman handelt von vier Waisenkindern, die nach dem Tod der Mutter den Leichnam verstecken und versuchen, ihr Leben allein weiterzuleben. Für „Amsterdam“ (1998) erhielt McEwan den Booker Prize. Die „Times“ listete ihn als einen der „50 großartigsten Autoren seit 1945“.
McEwan gilt als Meister der Charakterisierung, dem es gelingt, den Lesern auch Mitgefühl für fehlbare Figuren zu entlocken. Sein Personal verkörpert sowohl die besten als auch die schlechtesten Eigenschaften der Menschheit.
Der Brite ist zudem ein wachsamer Beobachter gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen, insbesondere in seiner Heimat, die er mit Humor kommentiert. In seiner satirischen Brexit-Fabel „Die Kakerlake“ kehrte er Kafkas „Die Verwandlung“ um. Statt Gregor Samsa, der als Käfer aufwacht, findet sich in seinem Roman eine Kakerlake in der Gestalt des britischen Premierministers wieder. Dass dieser Protagonist an zwei ehemalige Politiker aus London erinnert, ist sicher kein Zufall.