Traditionstreue statt Innovationsimperativ: Wynton Marsalis versteht den Jazz als klassische Musik Amerikas, als einen mehr oder weniger abgeschlossenen Kanon, den es zu erhalten und immer wieder zu interpretieren gilt. „Willkommen zu einem Abend mit swingender Musik“, begrüßt der Star-Trompeter das Publikum in der Münchner Isarphilharmonie zum Konzert seines 15-köpfigen Jazz at Lincoln Center Orchestra.
Und der Mann hält gut 90 Minuten lang Wort: Wo Marsalis draufsteht, sind Swing und Blues-Feeling drin, nach des Meisters eigenem strengen Reinheitsgebot. Dizzy Gillespie, Jelly Roll Morton und ganz viel Duke Ellington: Marsalis’ Hausgötter werden mit perfekt sitzenden Arrangements fürs Heute aufpoliert und mit solistischen Kabinettstückchen veredelt, dankenswerterweise die eher weniger bekannten Kompositionen.
Dass Marsalis und zwei weitere Orchestermitglieder Selbstgeschriebenes einstreuen, wäre ohne Marsalis’ Ansagen nicht aufgefallen, klingen die Eigenkompositionen doch allesamt, als wären sie ebenfalls schon vor 70 oder mehr Jahren entstanden.
In einer von ungezählten individuellen Personalstilen und experimentierfreudigen Hybriden geprägten Szene ist Marsalis ein wertkonservativer Solitär. Wer auch heute noch „Jazz, wie er früher einmal war“ hören möchte, wird von ihm auf höchstem spieltechnischem Niveau und mit größtmöglicher Treue zu historischer Aufführungspraxis bestens bedient. In der B-Note für den künstlerischen Ausdruck wäre bei so viel New Orleans-Seligkeit und Cotton-Club-Nostalgie vielleicht noch ein wenig Luft nach oben.