Preisgekrönte Filme wie das packende Beziehungsdrama „Candy“ mit Heath Ledger hat er auch gedreht. Doch eigentlich ist der australische Regisseur Neil Armfield ein eingefleischter Theatermann. 17 Jahre lang leitete er das Belvoir Theatre in Sydney, wo er viele bahnbrechende Inszenierungen schuf, darunter Shakespeares „Hamlet“ mit Cate Blanchett und Geoffrey Rush. Mittlerweile arbeitet er auch weltweit an führenden Opernhäusern wie der Metropolitan Opera oder der English National Opera. 2017 inszenierte er in Glyndebourne die Uraufführung von Brett Deans Oper „Hamlet“. Diese Produktion hat Armfield nun fürs Münchner Nationaltheater neu einstudiert. Premiere ist am Montag; es dirigiert Vladimir Jurowski. Wir sprachen mit dem 68-jährigen Australier.
Sie haben einmal gesagt, Shakespeares „Hamlet“ sei für Sie das großartigste Theaterstück aller Zeiten. Wieso?
Das Revolutionäre an diesem Drama ist, dass hier zum ersten Mal der menschliche Denkprozess auf der Bühne dargestellt wird. Shakespeare nimmt uns sozusagen mit auf eine Reise in Hamlets Hirn: In seinen Monologen erleben wir, wie die Gedanken dieses blitzgescheiten Kopfes zwischen den Synapsen hin- und herfliegen. Der Geist seines verstorbenen Vaters ist ihm erschienen und hat ihm ein Verbrechen offenbart – und nun muss Hamlet irgendwie auf diese Informationen reagieren.
Wobei erschwerend hinzukommt, dass Hamlet zunächst nicht weiß, ob der Geist wirklich die Wahrheit sagt.
Und da hat Shakespeare den genialen Einfall, Hamlet ein Theaterstück inszenieren zu lassen, durch dessen Aufführung die wahren Hintergründe enthüllt werden sollen. Tatsächlich wird mit dem Eintreffen der Darstellertruppe Hamlets gesamter Kosmos völlig auf den Kopf gestellt. Mir gefällt die Idee, dass man in dieser verlogenen Welt letztlich nur den Schauspielern glauben darf – und dass das Theater der Ort ist, an dem die Wahrheit ans Licht kommt.
Wie schaffen Sie es, Ihre Sänger zu wahrhaftigen Darstellungen zu bewegen?
Dank meiner jahrelangen Erfahrung im Sprechtheater hat sich in mir offenbar eine Art Bullshit-Detektor entwickelt, der sofort Alarm schlägt, wenn ein Sänger sich etwa in Opern-Routine flüchtet. Glücklicherweise passiert das nie bei Allan Clayton, der in unserer „Hamlet“-Produktion die Titelpartie singt: Er ist in jedem Moment präsent – ein Musterbeispiel für bedingungslose Hingabe an die Rolle. Als Opernregisseur richte ich mein Augenmerk zum einen auf die Authentizität der Darstellung und zum anderen darauf, die Musik optimal zur Entfaltung zu bringen. Mir ist es wichtig, dass sie die Herzen des Publikums erreicht.
Die Musik von Brett Dean konnte man an der Bayerischen Staatsoper schon in den Orchesterwerken „Testament“ und „Nocturnes and Night Rides“ erleben: Stücke, die komplex und trotzdem zugänglich sind – die Musik ist tonal, aber nicht banal. Was zeichnet Brett Dean für Sie aus?
Er geht an die Grenzen dessen, was in einer Oper machbar ist; für die Aufführenden sind seine Kompositionen extrem herausfordernd. Doch fürs Publikum bleiben sie, wie Sie sagen, stets zugänglich. Brett hat einfach ein extrem gutes Gespür dafür, was sich durch Musik ausdrücken lässt. Und er kann tatsächlich Gedankengänge in Klänge umsetzen – perfekt für eine Oper, die teilweise in Hamlets Hirn spielt. Wenn der heuchlerische Herrscher Claudius in einer großspurigen Rede etwa „Dänemark“ singt, antwortet ein achtköpfiger Chor aus dem Orchestergraben mit dem Echo „k, k, k…“. Das wirkt so, als würde man Claudius’ Scheinheiligkeit durch Hamlets Ohren hören.
Bemerkenswert ist zudem Brett Deans enorme musikalische Bandbreite – von choralartigen Passagen bis hin zu elektronischen Klängen…
Ja, in „Hamlet“ findet man beispielsweise auch gepfiffene Melodien oder einen Akkordeonspieler, der zur Schauspieltruppe auf der Bühne gehört und das Geschehen wie ein Clown à la Harpo Marx stumm kommentiert. Einerseits gibt es in dieser Oper Perkussionisten, die mit aneinandergeschlagenen Steinen oder zusammengequetschten Plastikflaschen beängstigende Klänge erzeugen, andererseits bietet die Partitur Momente von herzzerreißender Schönheit – wie etwa in meiner Lieblingsszene.
Die da wäre?
Gegen Ende, kurz vor dem entscheidenden Duell zwischen Hamlet und Ophelias Bruder Laertes, findet Hamlet zu innerem Frieden, und es erklingt eine traumhafte Cello-Melodie – so, als würde der Mond plötzlich aus den Wolken hervorbrechen. Bei unserer ersten Orchesterprobe war ich davon so ergriffen, dass ich Brett fragte: „Ist das die schönste Musik, die du je geschrieben hast?“ Und er meinte: „Na ja, jedenfalls bin ich ziemlich stolz darauf!“ (Lacht.)
Das Gespräch führte Marco Schmidt.