Kraftvoll zugebissen

von Redaktion

Die Hollywood Vampires um Alice Cooper und Johnny Depp in München

VON MICHAEL SCHLEICHER

Das Konzert ist etwas mehr als 70 Minuten alt, da wird wirklich allen klar, dass dieser Auftritt am Samstag ein bemerkenswerter ist. Denn an diesem 24. Juni hätte Jeff Beck, der im Januar verstorbene Meister-Gitarrist, seinen 79. Geburtstag gefeiert. Der Einfluss des Künstlers auf die Musik ist gar nicht hoch genug einzuschätzen; gerade hat Eric Clapton eine Abschiedsparty zu seinem Gedenken in der Royal Albert Hall organisiert – und alle Granden der Szene waren dabei.

Da der Zufall ein Münchner ist, spielen die Hollywood Vampires also just an Becks Ehrentag in der Stadt. Da geht Johnny Depp ans Mikro und würdigt den Verstorbenen als großen Musiker und „best Friend“; vergangenes Jahr traten die beiden noch gemeinsam beim Tollwood auf. Dann holt er Becks weiße Stratocaster, die bis dato in einem eigenen Scheinwerferkegel neben dem Schlagzeug stand, und reicht sie Joe Perry, im Hauptberuf Leadgitarrist von Aerosmith.

Auf geht’s zum Medley aus Kompositionen der Legende, das seinen Höhepunkt in „Beck’s Bolero“ findet, und bei dem Perry dankenswerterweise gar nicht erst versucht, den speziellen Ton des Toten zu treffen, sondern sich einen eigenen, rockigeren, trotzigeren Weg durch dessen Werk bahnt. Schließlich verbeugen sich die Männer vor Becks Foto, Depp wirft dem Bild Kusshände zu.

Keine Frage: Die Gruppe spielt diese Nummer natürlich auf allen Stationen ihrer Tour; sie jedoch am Geburtstag desjenigen zu hören, der da gewürdigt wird, ist besonders – für alle vor der Bühne, offensichtlich aber in erster Linie für all jene auf ihr.

Seit acht Jahren gibt es die Hollywood Vampires – und der Ruf, „teuerste Coverband der Welt“ zu sein, gehörte in dieser Zeit zum harmloseren Spott. „Am Anfang ging es uns darum, unsere in den Siebzigern verstorbenen, trinkfesten Freunde zu ehren: Jimi Hendrix, John Bonham, Jim Morrison und all die anderen“, erzählte Alice Cooper einst. „Deshalb stellten wir 2015 eine Kneipenband zusammen.“ Tiefer kann man kaum stapeln, denn Cooper, Perry und Tommy Henriksen sind großartige Musiker, die ebensolche Kollegen um sich scharen – etwa Schlagzeuger Glen Sobel. Johnny Depp bringt Hollywood mit auf die Bühne sowie sein ordentliches Spiel an der Rhythmusgitarre und eine fantastische Interpretation von „People who died“ der Jim Carroll Band. Zudem findet er einen eigenwilligen, doch hörenswerten Zugang zu David Bowies „Heroes“.

Beweisen muss sich hier keiner, perfekt eingespielt ist man eh (Sobel und Henriksen sind gemeinsam in der Band von Alice Cooper) – das sorgt für entspannte Feierstimmung im Scheinwerferlicht, die sich vom ersten Moment an auf die Menschen in der Halle überträgt. Auf deren linker Seite ist das Gedränge übrigens um einiges dichter als rechts; links ist schließlich der Platz von Johnny – Kreisch! – Depp, der winkt und zwinkert und herzt sich ins Publikum. Dass die Vampires mit eigenem Material eröffnen („I want my Now“, „Raise the Dead“), zeigt, dass keiner daran denkt, irgendein Erbe zu verwalten. Die Herren sind bissig – und musikalisch so zupackend wie die Dracula-Zähne groß sind, die über der Bühne herabragen. Das beweist zudem das lässig aus der Hüfte geschossene „The Boogieman Surprise“.

Den schwierigsten Part freilich hat Cooper, der bei den Cover-Versionen stets gegen das Wissen um die Originalstimme ansingen muss. Doch der 75-Jährige ist angstfrei und wirkt sowieso seit dem Auftritt in Wacken 2014 und den „Detroit Stories“ (2021), seinem ersten Nummer-eins-Album in Deutschland, als denke er gar nicht an die Rocker-Rente. Logo, Untote altern nicht.

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