Sein Amt als Chefdirigent tritt er erst im Herbst an. Doch schon jetzt leitet Rubén Dubrovsky am Gärtnerplatz eines der Kernstücke des Repertoires: Mozarts „Le nozze di Figaro“ hat an diesem Donnerstag in der Regie von Hausherr Josef E. Köpplinger Premiere. Dubrovsky, Jahrgang 1968, stammt aus Buenos Aires und kam über Ungarn und Deutschland nach Wien. Er ist Barockexperte, spielt außerdem Cello, Barockgitarre und mehrere Percussion-Instrumente.
Es gibt Dirigenten, die den „Figaro“ meiden – weil er zu perfekt sei.
Es ist tatsächlich eine große Herausforderung, Mozart im Allgemeinen gerecht zu werden. Zugleich ist es die schönste Herausforderung, die sich einem Musiker stellt. Mir scheint das so, als wolle man ein wunderbares Tier nachzeichnen. Es gelingt zwar nie ganz, aber man versucht es immer wieder. Mozarts Musik ist auch wie ein Mensch, mit dem man spricht.
Sie kommen aus der Alte-Musik-Szene. Wenn Sie nun an einem Repertoirehaus Mozart dirigieren: Ist das ein ständiger aufführungspraktischer Kompromiss?
Musik zur Aufführung zu bringen, ist immer ein Prozess. Man möchte das Beste aus einer Partitur herausholen. Wenn man ein Konzert in der freien Szene erarbeitet, trifft man sich zwei, drei Tage und bereitet das komprimiert und sehr konzentriert vor. Das hat schon Vorteile. An einem Repertoirehaus dagegen kann ein Stück über Monate hinweg reifen im Bewusstsein aller Beteiligten. Das wiederum birgt große Möglichkeiten. Hier muss man allerdings die Probenarbeit so gestalten, dass man nicht nur die Premiere vorbereitet, sondern auch die letzte Vorstellung.
Wird sich das Repertoire am Gärtnerplatz jetzt mehr Richtung Wiener Klassik und Barock entwickeln?
Ich kann vom Repertoire her einiges beitragen. Aber Barock ist dem Haus ja nicht fremd. Natürlich bietet meine Sicht auf die Alte Musik einen anderen, neuen Impuls für die Pflege dieser Werke. Mein wichtigster Beitrag wird aber nicht sein, was wir spielen, sondern wie wir uns aufführungspraktisch den Epochen und Nationalstilen nähern. Mein Wunsch ist, dass wir alle diese Stile wie eine Muttersprache beherrschen.
Sie wohnen in Wien, arbeiten nun in München: Welche Unterschiede gibt es zwischen beiden musikalischen Biotopen?
Es gibt viele Ähnlichkeiten. Aber Tradition wird in Wien mit noch viel fetteren Buchstaben geschrieben. Man fühlt sich in Wien, als würde man direkt von Mozart, Schubert und Mahler abstammen. Das gibt den Musikern auch eine gewisse Sicherheit. In München spüre ich eine größere Offenheit, man stellt sich als Musiker oder als Orchester mehr in Frage: Sind wir auf dem richtigen Weg? Auch das hat für die unglaublich hohe Qualität der Münchner Kulturinstitutionen gesorgt.
Mit Blick auf Ihre sehr künstlerisch orientierte Familie: Hatten Sie überhaupt die Chance, etwas anderes als Musiker zu werden?
Es gab ein paar Monate in meiner Biografie, da überlegte ich, ob ich Physik oder Chemie studiere. Ich war vollkommen fasziniert davon, als ich zehn oder elf Jahre alt war. Es blieb nur ein kurzer Ausflug. Die Kunst ist einfach Teil der Familien-DNA. Genauso wie Politik. Es war für uns normal, Musiker zu sein und gegen die Militärdiktatur zu protestieren. Mein Vater war im aktiven Widerstand. Musik war damals auch ein Ausdrucksmittel, um sich anderweitig mitzuteilen. Man konnte als Künstler mehr wagen, weil Musik Aussagen verschlüsselt. In Argentinien kam das vor allem in der Volksmusikszene vor. Diese hat dort überhaupt ein sehr hohes Niveau. Alle Protestlieder wurden im Volksmusik-Rhythmus gesungen. Und selbst wenn der Text nicht mehr vorgetragen werden durfte: Allein der Rhythmus war Protest genug.
Wann hat Ihre Familie Argentinien verlassen?
Ich bin nach der Diktatur nach Deutschland, dann nach Wien. Und erst als mein Sohn auf der Welt war, kamen meine Eltern zu uns.
Es gibt eine fast beängstigende Parallele zwischen Ihnen und Nikolaus Harnoncourt. Auch er hat ein Ensemble gegründet, auch Sie haben wie er eine Geigerin geheiratet.
Aber es gibt auch große Unterschiede. Harnoncourt kommt aus einer sehr aristokratischen Familie, ich komme aus einer Arbeiterfamilie am Rande der Stadt. Ich habe in Wien den Kontakt zu Harnoncourt gemieden. Aus Respekt. In unserer Kultur tritt man älteren Menschen auf zwei Arten gegenüber. Entweder man schiebt sie ein wenig zur Seite – oder man macht aus ihnen eine Ikone. Gerade wegen Letzterem dachte ich: Warum sollte ich ihn mit Fragen belästigen? Musikalisch stimmte ich auch nicht immer mit ihm überein, das ist normal. Was ich aber von ihm gelernt habe: Man muss zu jedem Ton eine eigene begründete Meinung haben.
Haben Sie es als gelernter Cellist leichter, wenn Sie vor dem Orchester stehen?
Für mich ist tatsächlich die Augenhöhe zu den Musikern extrem wichtig. Der Sicherheitsabstand zwischen Maestro und Orchester passt überhaupt nicht mehr in unsere Zeit – gerade weil die Musiker so gut ausgebildet sind. Mir hilft, dass ich weiß, was ein Musiker benötigt. Das betrifft nicht nur die Interpretation, sondern auch den Orchesteralltag. In der Alten Musik gibt es außerdem ein großes Wissen darüber, was jedes Instrument braucht, um überhaupt einen Ton erzeugen zu können. Ein Lautenist zum Beispiel braucht so viel Vorkenntnis, die ein Dirigent gar nicht mitbringen kann. Das bedeutet, dass ein Dirigent großen Respekt vor einem solchen Können hat. Und dies bringt einen automatisch auf Augenhöhe. Was nicht heißt, dass man als Dirigent nicht leitet. Aber man muss seine Arbeit anders begründen.
Bedeutet Ihre Münchner Position auch, dass Sie für sich ein neues Repertoire entdecken? Mehr Musical, mehr Operette?
Ich mache nächstes Jahr zwei deutsche Spielopern. Mozarts „Zauberflöte“ habe ich schon dirigiert, Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“ sind total neu für mich. Als Cellist habe ich in Wien wer weiß wie viele „Fledermäuse“ gespielt und auch von Mahler bis zur zeitgenössischen Musik einiges kennengelernt. Es wird für mich durch die Tätigkeit am Gärtnerplatz spannend sein, an das Repertoire des 19. und 20. Jahrhunderts mit demselben Anspruch heranzugehen wie an eine Bach-Kantate. Ich will auch südamerikanische Volksmusik am Gärtnerplatz vorstellen, zusammen mit dem Bratscher Nils Mönkemeyer und meinem Bach Consort Wien. Da werde ich verschiedene Saiteninstrumente spielen, Gitarre, Laute, Cello… Ich liebe übrigens das Basso-Continuo-Spiel.
Das heißt, Sie begleiten beim „Figaro“ die Rezitative selbst?
Oh, ich weiß als Cellist nicht einmal, wie man ein Klavier öffnet.
Das Gespräch führte Markus Thiel.