Wie ein Platzregen an heißen Sommertagen

von Redaktion

NEUERSCHEINUNG Ralf Rothmanns wunderbare Sammlung von Gedanken aus 50 Jahren

VON ALEXANDER ALTMANN

Wird es durch den Klimawandel künftig weniger oder mehr regnen? Ausgerechnet in dieser Frage scheinen die Experten noch unsicher, obwohl sie doch in literarischer Hinsicht die wichtigste ist. Schließlich haben gerade Poeten ja oft ein besonders inniges Verhältnis zum Regen. Günter Eich etwa, der berühmte Lyriker und Hörspielautor der deutschen Nachkriegsliteratur, überbrachte einst die „Botschaften des Regens“, wie einer seiner Gedichtbände heißt. Und jetzt, rund 70 Jahre später, legt Ralf Rothmann nach mit seinem wunderbaren neuen Buch „Theorie des Regens“, das zwar keine Gedichte versammelt, aber Notizen, Gedanken, Impressionen aus den vergangenen fünf Jahrzehnten. – Texte, die als beiläufige poetische Meditationen in Prosa an Peter Handkes sogenannte Journalbände wie etwa „Das Gewicht der Welt“ denken lassen.

Sicher, die Radikalität Handkes, bei dem jedes Wort gleichsam von einer Aureole der Authentizität umstrahlt wird, scheint Rothmann fremd. Aber seine etwas lässigere, „werktäglichere“ Einstellung zur Sprache ändert nichts daran, dass die „Theorie des Regens“ eines jener beglückenden Bücher ist, die man wie die Bibel lesen kann: einfach irgendwo aufschlagen und sich überraschen lassen, von dem, was da gleich einem sanften Landregen niederrauscht.

„Ich fühle mich wie eine Melodie im Walzwerk“, ist da zu lesen. Oder auch: „Nichts, was nicht mein Leben wäre; wo immer ich hinsehe, blicke ich in einen Spiegel.“ Und in der titelgebenden Reflexion zum Regen heißt es: „Immer habe ich den Regen geliebt (…) still sitze ich am Fenster und höre zu, wie der Wolkenbruch das Laub der Linde, die Postkästen und die leeren Flaschen hinter dem Bistrot zum Klingen bringt. So flüssig schriebe ich gern. Die ganze rue Delambre ist bis zur letzten Laterne auf eine glänzende Weise ausformuliert.“

Aber als wären solche Notate nicht genug, sind das Faszinierendste an dem Buch aphoristische Gedankenschauer, die gerade in ihrer Arroganz überraschenderweise so wohltuend wirken wie ein Platzregen an heißen Sommertagen. Was wohl daher rührt, dass diese Arroganz mit ihrem Mut zur ungeschützten Subjektivität unabsichtlich etwas Anarchisch-Subversives hat. Und das trifft sowohl auf Bemerkungen Rothmanns zu, die völlig abwegig sind (etwa wenn er Heinrich Mann für „genialer“ hält als Thomas Mann), als auch für solche, denen man augenzwinkernd zustimmen möchte.

So wie etwa den Sentenzen über das Konkurrenzprinzip, wo es heißt: „Ehrgeiz als eine Art Delirium: Deswegen hat mich Sport immer abgestoßen. Aber mittlerweile nehmen auch Schriftsteller an irgendwelchen Literatur-Contests (…) teil, und man weiß nicht mehr, was man gruseliger finden soll: die Unwürdigkeit solcher Veranstaltungen oder die Tatsache, dass sie niemand mehr unwürdig findet.“ Unmittelbar darauf stellt der Autor herrlich apodiktisch fest: „Die Bäume im Winter, diese verzweigten Adern des Unsichtbaren. D a s sind unsere wahren Herzkranzgefäße! Nur Schwächlinge machen Sport.“ Und gleich in der nächsten Notiz kulminiert seine Philippika in einem Gegenentwurf: „Es wird Zeit für ein Fest des Scheiterns, für eine Olympiade der Versager.“

Bei der hätte Rothmann selbst wohl kaum Chancen auf eine Medaille. Denn ein Versager ist der Siebzigjährige sicher nicht, was man auch daran sieht, dass er soeben mit dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet wurde.

Ralf Rothmann:

„Theorie des Regens“. Suhrkamp Verlag, Berlin, 215 Seiten, 24 Euro.

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