Rom sieht rot

von Redaktion

PREMIERE Christian Stückl inszenierte „Julius Caesar“ in Oberammergau

VON SIMONE DATTENBERGER

Polit-Popstar Julius Caesar versus Edel-Revoluzzer Cassius. Der eine, kurz davor, die Macht über das Römische Reich total an sich zu reißen, gibt den nahbaren Selfie-Onkel; Hauptsache, die Menge skandiert seinen Namen und denkt nicht. Der andere versucht, der Menge mit Argumenten verständlich zu machen, dass man die Schere zwischen Arm und Reich doch energischer schließen sollte; Hauptsache, sie denken nach und tun endlich etwas gegen Caesar (um 100 v. Chr. bis 44 v. Chr.). Christian Stückl, Intendant des Münchner Volkstheaters und Passionsspielleiter, hat für Oberammergau William Shakespeares Historiendrama „Julius Caesar“ inszeniert (gut zweieinhalb Stunden inklusive Pause).

Mit diesem Kontrast-Auftakt kommt er gleich zu der Sache, die das Renaissance-Theatergenie hier herausgearbeitet hat: politische Kommunikation. Wir Heutigen im Passionsspielhaus stellen überrascht fest, dass es ganz genauso noch am Anfang des 21. Jahrhunderts funktioniert. Mit Reden, Argumentieren, Überzeugen kann Gutes, Sinnvolles bewirkt werden, kann der eigene Standpunkt gern mal hinterfragt, kann der andere verstanden werden. Mit den gleichen Mitteln kann man sich aber auch selbst und andere vom Schlechten überzeugen, kann übertölpeln, manipulieren – wenn sie nie gelernt haben, Fakten klar zu erfassen, um daraus Schlüsse zu ziehen.

Der Dichter beleuchtet stets beides und zeigt, dass es manchmal ineinander verwoben ist. Und zwar ausführlich auf ethischer und staatsrechtlicher Ebene – Stichwort: (Tyrannen-)Mord –, bevor er die Römer um Cassius und Brutus auf Caesar einstechen lässt. Der Stücktext verklärt Caesar nicht und steht eindeutig auf der Seite derer, die keinen König wollen, ohne dass Shakespeare, der in einer Monarchie lebte, Probleme bekommen hätte. Vielleicht weil sich die Kämpfer für die Freiheit in ihrem eigenen Gewissen verheddern und Schlacht samt Leben verlieren. Sieger bleiben die gewissenlosen Macht-Strategen und Massenmörder Antonius (Marc Anton) und Oktavius (Octavian, als Alleinherrscher Augustus genannt).

Die Regie folgt dem Strategiespiel des Elisabethaners inklusive Morden, Aufruhr, Krieg mit theatralischen Licht-, Pyro- und Megalärm-Effekten. Stückl, der die Schlegel-/Tieck’sche Fassung für seine Oberammergauer Laiendarsteller (rund 200) adaptiert und gekürzt hat, fordert und überfordert sich, sie und die Zuschauer erneut – und zwar gezielt. Ihr könnt selbst denken, schreit uns die Kunst zu. Macht es euch gefälligst nicht bequem! Deswegen lässt Stückl am Ende die Frauen vor uns stehen, die die Bilder ihrer Kriegstoten hochhalten.

Damit das Drama trotzdem unterhaltsam flutscht, hat Stefan Hageneier eine Macht-rote, Macht-klassizistische Repräsentationszentrale in die feste Passionsbühne implantiert. Die Farbpracht lässt Günther E. Weiss im finalen Gemetzel mit seinem Licht im Aschgrau versinken. Wie überhaupt diese Nichtfarbe fast alle Kleidungsstücke vom Rock der Römerin bis zum schmalen Anzug des Jungmanagers dominiert. Voll in die Gefühle geht Markus Zwink mit seiner Musik, auf dass die Filmkomponisten blass vor Neid werden. Am Anfang dräut ein grausiges Grollen, in das die Percussion ein gefährliches Tuscheln mischt; damit ist der kommende Thriller raffiniert umrissen. Zwinks Vorstellungen setzen Laienorchester und -chor imponierend um.

Die Darsteller, ob große Rolle oder Person in der Bürgerschaft (exzellent wieder die Massenszenen von Stückl choreografiert), stürzen sich ein Jahr nach dem kräftezehrenden Passionsspiel mit Leidenschaft und Mut ins Abenteuer eines hochkomplexen Sprachkunstwerks. Dass dies und jenes nicht recht überzeugt – was soll’s?! Das hat man bei „Julius Caesar“ sogar bei den größten Könnern der Schauspielkunst erlebt. Was überzeugt, ist die Wahrhaftigkeit der Anstrengung. Und da ist er wieder, der Appell: Macht es euch nicht zu leicht, wir tun’s auch nicht!

Darum ziehen wir den Hut vor dem genüsslich auftrumpfenden Andreas Richter (Caesar), dem großartigen Cengiz Görür (Antonius), dem vergrübelten Martin Schuster (Brutus), der energischen Eva Norz (Portia), dem schillernden Yannick Schaap (Cassius), dem konzentrierten Frederik Mayet (Oktavius) und allen Übrigen. Herzlicher Applaus.

Weitere Vorstellungen

am 14., 15., 21., 22. Juli sowie 4., 5. August; Bustransfer von München nach Oberammergau und zurück (ZOB, Arnulfstraße 21; 25 Euro; Abfahrt 16.30 Uhr); Karten (19 bis 54 Euro): Telefon 08822/945 88 88, www.passionstheater.de; Telefon: 089/54 81 81 81.

Artikel 5 von 11