Der Zeitpunkt, zu dem dieses Buch erscheint, ist passend. Weil gerade wieder Neapel-Fieber herrscht. Napoli hat frisch den Scudetto gewonnen, die italienische Fußballmeisterschaft, erstmals seit 33 Jahren. Für die Stadt fühlt es sich so ähnlich an wie damals, als er sie zum Leben erweckte: Diego Armando Maradona, der argentinische Wunderspieler, der sich – manchmal zu sehr – am Leben berauschte und oft an ihm verzweifelte. Er starb am 25. November 2020. Nun lässt eine Graphic Novel seinen Werdegang vorüberziehen: „Die Hand Gottes“ von Paolo Baron und Ernesto Carbonetti.
Neapel ist die Klammer des Buchs, obwohl Maradona nur sieben Jahre (1984 bis 1991) da war. Aber der Wahnsinn seiner Biografie lässt sich auf diese Zeit verdichten. Am Vesuv realisierte er den zuvor beim FC Barcelona ins Stocken geratenen Aufstieg zum Weltstar, doch im Erfolg leitete er auch den Absturz ein. Das ganze Programm: Seitensprünge, die Spuren hinterließen („Nach Argentinien kehrte er als Weltmeister zurück, nach Neapel als Vater“), Mafiakontakte, die Sucht. Das sind die bestürzendsten vier Seiten: Maradona, wie er – gewandet wie John Travolta in „Saturday Night Fever“ – in der Disco zum Koksen aufs Klo geht, einen imaginären Sprungturm erklimmt und eintaucht ins weiße Pulver, das sich aufstaut wie die Dünen in der Sahara: „Kokain. Das Statussymbol jener Zeit… In Neapel war es überall.“
Was dann knapp 30 Jahre folgte, waren missglückte Versuche, der Liebe seiner Anhänger gerecht zu werden. Der Absturz ist immer länger als der Aufstieg. Maradona verlor sich im Dienste von Autokraten und in merkwürdigen Jobs – das Buch spart einiges aus der Endphase aus wie die peinlichen Ehrengastauftritte bei der WM 2018 in Russland. Und Zeichner Carbonetti ist so gnädig, es bei silhouettenartigen Andeutungen zu belassen, als der gefallene Star seine Würde verloren hatte.
Jüngere Fußballfans sind in der Hochglanz-Welt von Lionel Messi und Cristiano Ronaldo aufgewachsen, deren Verfehlungen von Anwälten diskret weggekehrt werden. Nur zwischen Messi und CR7 scheint es sich zu entscheiden, wer der Größte jemals im Fußball ist. „Die Hand Gottes“ lässt all jene, die Maradona nicht mehr haben spielen sehen – etwa 1987 im Uefa-Cup im Münchner Olympiastadion, als er schon das Aufwärmen mit offenen Schuhen zur Attraktion machte –, erahnen, welche Bedeutung er hatte. Er war ein Lebensbeeinflusser im Positiven – trotz seiner Fehlbarkeit. Diese Graphic Novel endet mit dem Bild Diegos, das am Tag seines Todes heiligengleich über der Bucht von Neapel aufgeht. Kitschig – aber es trifft die Stimmung dort dieser Tage.
Paolo Baron/ Ernesto Carbonetti:
„Die Hand Gottes – Diego Armando Maradonas Leben als Graphic Novel“. Aus dem Italienischen von Harald Sachse. Splitter Verlag, Bielefeld, 136 S.; 25 Euro.