„Ich erfülle mir eine Sehnsucht“

von Redaktion

Zum 90. Geburtstag des großen Schauspielers und Chansonniers Michael Heltau

VON SABINE DULTZ

„Chanson ist Welttheater in drei Minuten.“ Ein Satz, der stimmt. Er kann nur von Michael Heltau stammen. Ein großer Schauspieler und als dieser ein noch größerer Sänger. Unvergleichlich bis heute. An diesem Mittwoch, den 5. Juli, wird der 1933 in Ingolstadt geborene, aber seit Ewigkeiten mit österreichischer Staatsbürgerschaft in Wien lebende Künstler 90 Jahre alt. Nach dem Tod seines Lebensgefährten, des Schauspielers, Autors und Übersetzers Loek Huisman, im Dezember 2017 – 64 Jahre lang waren sie ein Paar – verabschiedete sich Heltau endgültig von der Bühne. Natürlich wählte er für diesen historischen Augenblick das Burgtheater, dem er so lange angehört hatte. Und als sein Solo-Abend „Einen blauen Ballon möcht’ ich haben“ endete, lag ihm das Wiener Publikum zu Füßen.

Bevor Heltau zum deutschsprachigen Meister des Chansons avancierte, galt er auf den renommierten Bühnen Wiens, Hamburgs, Berlins, Münchens in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren als einer der Größten unter den Großen, die damals die Theater beherrschten. Heltau hat sie alle gespielt, die berühmten Rollen der Weltliteratur, die Shakespeares, Tschechows, Schnitzlers, Schillers, die komischen wie die tragischen, die boulevardesken wie die dramatischen. Jede Figur erfüllte er mit seiner Menschlichkeit, seinem großen Herzen, seinem Humor, seiner Liebe und Weisheit. Ob es der Mackie Messer in der Inszenierung von Giorgio Strehler in Paris war, der Don Carlos, Hamlet, Richard II. oder Wallenstein in Wien. Im Münchner Residenztheater stand er 1982 als Jago in „Othello“ auf der Bühne.

Heltau freute sich, auf der Maximilianstraße erkannt zu werden. Wer behaupte, sagte er damals, dass ihm so etwas lästig sei, „hat unseren Beruf nicht verstanden“. Die indirekte Frage würde doch immer lauten: „Kaufen Sie eine Eintrittskarte für mich?“ So gehörten Dankbarkeit und Zärtlichkeit den Menschen gegenüber dazu.

Es war schon die Zeit, in der sich Heltau der Erweiterung seines Metiers zugewandt hatte. Seit 1976 war er über viele Jahre der Moderator der ZDF-Sendung „Liedercircus“. Wer ihn bis dahin als Schauspieler nicht gekannt haben sollte, erlebte ihn hier als Sänger, als phänomenalen Interpreten der von Kabarettist Werner Schneyder ins Deutsche übertragenen Chansons des Jacques Brel. Sie faszinieren noch immer – „Amsterdam“, „Karussell“, „Das allerletzte Glas“ oder „Das Lied von der alten Liebe“. Es sind kleine, kompakte Dramen, manchmal auch Komödien. Und genauso verhält es sich mit Heltaus Wiener Liedern. Etwa mit „Mein Mädel ist nur eine Verkäuferin“, „Was hast du schon davon, wenn ich dich liebe“ oder – vielleicht der Gipfel an Melancholie und Schönheit – „Adieu, mein kleiner Gardeoffizier“.

Man könnte meinen, dass für Heltau das Chanson gegenüber einer Rolle im Schauspiel eine künstlerische Steigerung darstellt. Denn man agiere ohne den Schutz einer Rolle oder eines Ensembles, meint er. Beim Chanson müsse es vom ersten Moment an spannend sein. Dass ihm das immer gelungen ist und das Münchner Publikum bei Heltaus Auftritten in der Komödie im Bayerischen Hof oder im Prinzregententheater sich dem inneren Reichtum dieses singenden Geschichtenerzählers auslieferte, gehört zu den Glücksmomenten eines jeden Zuschauers, einer jeden Zuschauerin.

Ein Mann mit Charakter, Anstand und nobler Zurückhaltung. Oft angefragt. Man habe ihm für eine Werbung so viel Geld geboten, dass er davon sein Haus auf Anhieb hätte abzahlen können. Aber nie und nimmer wolle er mit einem Produkt aus der Konsumwelt identifiziert werden. Hat man ihn je in einer Talkshow angetroffen? Ausgeschlossen. Für sich selbst Werbung zu machen, das kam für ihn nicht infrage. „Ich bin allergisch gegen das, was in unserer Branche als wichtig daherkommt“, bekannte er einmal. „Ich erfülle mir eine Sehnsucht.“ So benennt Michael Heltau seine glänzende Karriere.

Ihr Ursprung liegt weit zurück, 1941 in einem Gasthaussaal, ein Bunter Abend während des Krieges, mit Zauberern, Sängern, dressierten Tauben und Hunden. „Das muss meine erste große Liebe gewesen sein. Ich habe mein Gefühl für diese kleine Form des Theaters nie vergessen und bin glücklich, sie für mich in der großen Welt des Theaters immer wieder zu entdecken.“ „Jung san ma, fesch san ma“, sang er einst den Hit von Robert Stolz. Fesch, das mag selbst einem Neunzigjährigen immer noch gut anstehen. Glückwunsch, Michael Heltau!

Jede Figur erfüllte er mit Liebe, Humor und Menschlichkeit

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