Lauwarme Verdi-Kost

von Redaktion

Christian Thielemann und die BR-Symphoniker bei „Klassik am Odeonsplatz“

VON MARCO SCHMIDT

Die Voraussetzungen hätten nicht besser sein können bei „Klassik am Odeonsplatz“ am Samstagabend mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und dem BR-Chor unter der Leitung von Christian Thielemann: zwei Weltklasse-Ensembles auf dem Podium. Ein Dirigent, der just eine Woche zuvor nebenan im Herkulessaal bei Bruckners Fünfter mit den BR-Symphonikern einmal mehr bewiesen hat, was für ein Klangmagier er ist. Top-Tontechniker, die für ein verblüffend fein ausgesteuertes Klangbild sorgen. Ein ausverkauftes Auditorium mit 8000 begeisterungsfähigen Menschen. Ausschließlich Werke von Giuseppe Verdi auf dem Programmzettel. Ein traumhaftes, italienisch angehauchtes Ambiente auf Münchens schönstem Platz. Und dazu herrlichstes Sommerwetter mit mediterranen Temperaturen.

Doch wer nun eine heiße „Notte italiana“ mit südländischem Feuer erwartet hat, sieht sich getäuscht: Das Konzert entpuppt sich als eher lauwarme Angelegenheit – und das liegt vor allem an der Stück-Auswahl. Vor der Pause erklingen Ballettmusiken aus „Macbeth“, „Don Carlo“ und „Otello“, die bei heutigen Aufführungen dieser drei Opern in aller Regel gestrichen werden. Aus gutem Grund: Im Gegensatz zu Verdis Meisterwerken wie etwa seinem Requiem klingen sie so uninspiriert, als habe der Komponist hiermit mehr oder weniger lustlos eine lästige Pflicht erfüllt, die ihm die damalige Opernkonvention vorschrieb. Ballettmusik ist das, die zum einen Ohr rein- und zum anderen wieder rausgeht – und die ohne Ballett reichlich witzlos wirkt.

Christian Thielemann am Pult bietet dabei keinen adäquaten Ersatz für die fehlenden Tänzer: Mit seinen eckigen Dirigierbewegungen weckt er alles andere als Assoziationen an einen klassischen Ballerino. Ein König Midas ist er leider auch nicht – aus Verdis meist hohlem Geklingel, Geplätscher und Tschingderassabumm kann auch er keine goldenen Funken schlagen. So bleiben nur ein paar schöne Momente in Erinnerung, darunter das originelle, orientalisch gefärbte Flötenmotiv zu Beginn der „Otello“-Ballettmusik oder das von Konzertmeister Radoslaw Szulc betörend interpretierte Geigensolo im „Ballett der Königin“ aus „Don Carlo“. Immerhin.

Nach der Pause steht mit den „Quattro pezzi sacri“ ein weitaus gewichtigeres Werk auf dem Programm, das nicht zuletzt dank kühner Harmonik ein Konzertsaal-Publikum regelmäßig zu fesseln vermag. Hier kann der BR seinen größten Trumpf ausspielen: Der Chor, prächtig präpariert von Howard Arman, ist wie immer eine Wucht und sorgt mit seiner atemberaubenden Präzision ein ums andere Mal für Gänsehaut-Momente. Doch dieses spirituelle Spätwerk von Verdi, das über weite Strecken leise und langsam dahinfließt und letztlich hauchzart verlöscht, eignet sich kaum für eine Open-Air-Aufführung. Was acht Tage zuvor im Herkulessaal mit demselben Orchester und demselben Dirigenten so wundervoll aufgegangen ist, die penible Detailarbeit, die Abschattierungen im Pianissimo – all das verpufft nun fast völlig unter freiem Himmel, zumal die Mitwirkenden auch noch Pech haben: Ausgerechnet an entscheidenden Stellen werden sie gnadenlos übertönt von Hupen oder Hubschraubern, Mauerseglern oder Martinshörnern. Hinzu kommt, dass Thielemann oft arg bedächtige Tempi wählt und die Fortissimo-Ausbrüche des Orchesters keineswegs mit maximaler Schärfe musizieren lässt, sondern fast wie mit angezogener Handbremse. Schade.

Die schwere sakrale Kost nährt die Hoffnung auf ein Zugabe-Zuckerl – schließlich hat Verdi zahlreiche Rausschmeißer-Reißer im Angebot, von seinen Ouvertüren bis hin zum Gefangenenchor aus „Nabucco“. Doch was passiert? Nichts! Es gibt überhaupt keine Zugabe! Und spätestens jetzt drängt sich der Eindruck auf, dass hier offenbar irgendjemand die Grundprinzipien von „Klassik am Odeonsplatz“ nicht verinnerlicht hat. Ein glücklicheres Händchen bei der Programmauswahl für das Konzert am 12. Juli des kommenden Jahres wäre den Verantwortlichen zu wünschen.

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