Nahaufnahmen

von Redaktion

Brigitte Fassbaender inszenierte für die Tiroler Festspiele Wagners „Siegfried“

Klunker hat er ihr wohl schon zur Genüge mitgebracht. Fürs erneute Rendezvous taugt daher eine Flasche Schampus: Wotan und Erda, das ist eine On-off-Beziehung. Wenn er nicht weiterweiß, landet er bei ihr unter der Satin-Bettdecke. Doch jetzt, wir ahnen es, hat die weissagende Göttin genug. Wobei Göttin: Auch in diesem „Siegfried“, im dritten Teil des Erler „Ring des Nibelungen“, sind ausschließlich Menschen unterwegs. Und zu verdanken ist das der weisen Menschenkennerin Brigitte Fassbaender, die im Inntal gerade ihre Regie-Laufbahn mit dem Wagner-Zyklus krönt.

2021 ging das dort los mit dem „Rheingold“, im vergangenen Jahr folgte „Die Walküre“, heuer sind „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ dran. Und für die kompletten Zyklen anno 2024 startete gerade der Vorverkauf. Ohnehin sind Ausstattungsexperimente im Passionsspielhaus zwecklos. Das sämig-warmblütig tönende Festspielorchester auf der Hinterbühne, getrennt durch einen Gazevorhang, kaum Maschinerie, dafür eine Spielfläche direkt vor dem Publikum: Da reichen dank Ausstatter Kaspar Glarner ein paar Stufen, Amboss, Schrank, ein Verschlag rechts (in dem der saufende Alberich haust) und ein Versenkungsmechanismus. Der transportiert am Ende die schlafende Brünnhilde nach oben und eine halbe Stunde zuvor zum Wotan-Date die schlummernde Erda. Dazu gibt es Videos von Bibi Abel, die mal die Vorhänge in Erdas Riesengemach wehen oder das Feuer am Walkürenfelsen leuchten lassen. Aus Improvisation wird Tugend.

Im Grunde bietet auch der „Siegfried“ von Opernlegende Brigitte Fassbaender größtmögliche Kontrastmittel: Während die Musik bauscht und rauscht, sich unter der sorgsamen Stabführung von Erik Nielsen ins Haus schmiegt, verfolgt man viereinhalb Stunden lang ausschließlich Intimes. Kleine Zeichen genügen, und schon ist alles klar, Augenzwinkerndes inklusive. Siegfried braucht kein Horn, er bläst auf den Fäusten. Um Brünnhilde zu erwecken, küsst er ihr nicht den Mund, sondern demutsvoll die Füße – ein sehr berührender Moment.

Was wir verfolgen, ist kein Politdrama im Großformat, sondern eine subtil erzählte Familiengeschichte. Doch die gleitet nie in Serienware à la „Denver Clan“, sondern lässt schon auch Pathos, den raumgreifenden Moment zu – für den es, die Fassbaender beweist es, keine Mega-Zeichen braucht. So außer sich alle Figuren oft sind, so wenig driften sie doch in die Karikatur oder ins Flachrelief. Die richtige Dosierung an Zeichen, Gesten und Gängen muss einfach stimmen. Was oft zum Idealfall führt: Eine ordnende Regie-Hand ist plötzlich nicht mehr spürbar, am stärksten in den Zweierbegegnungen. Wotan/ Wanderer ist kein heruntergerockter Gott, sondern ein Elder Statesman, der sich in Mimes Schmiede mit der berühmten Frageszene sein eigenes Schicksal vergegenwärtigt. Und Letzterer ist kein keifender Sagen-Zwerg, sondern ein gestrandeter, leicht überschnappender, liebenswerter Underdog.

So erotisch und vielsagend wie in Erl wurde die letzte Begegnung Wotan/Erda noch selten geschildert. Und im Final-Duett verfolgt man, wie sich Siegfried und Brünnhilde nur allmählich Berührungen gestatten – wofür die Fassbaender die breite Bühne vollumfänglich nutzt. Gefühlte Nähe, das führt sie handwerklich souverän vor, lässt sich gerade über meterweite Abstände am eindrücklichsten herstellen.

Sogar Vincent Wolfsteiner lässt sich hier aus der Reserve locken. In der Siegfried-Partie hat er sich’s sehr sicher und sehr gemütlich eingerichtet. Als Held mit Bärchencharme kommt er mühelos durch, wirkt aber oft wie ein Fremdkörper im ausziselierten Geschehen. Simon Bailey als Wotan/Wanderer verfügt über kein Heldenbariton-Geschütz, kann daher mit viel Finesse und Zwischentönen gestalten. Peter Marsh hütet sich als Mime vor der vokalen Grimasse und muss dank seines großen Tonumfangs nicht die Flucht nach vorn in die Deklamation antreten.

Craig Colclough gibt auch stimmlich den dumpfen Alberich-Penner. Christiane Libor hat sich die gefährlich gelagerte Brünnhilden-Rolle klug und mit viel Textreflexion zurechtgelegt. Zanda Švēde ist als Erda eine üppig timbrierte 30er-Jahre-Schönheit. Als Waldvogel bekommt die silbrig-spitze Anna Nekhames mit Chris Wang einen stummen Begleiter, beide scheinen einer Zirkustruppe entsprungen, um Siegfried zu umgarnen. Den spektakulärsten Auftritt gönnt Brigitte Fassbaender dem Riesen Fafner: eine Kampfmaschine mit Flammenwerfer, von Anthony Robin Schneider mit scharzem Bass gesungen.

Gut möglich, dass auch die „Götterdämmerung“ kein Weltenbrand-Spektakel wird, sondern zur persönlichen Katastrophe der Wagner-Wesen. Und vielleicht taucht sogar (und stückwidrig) Wotan wieder auf. Aus Mimes Schmiede hat er sich jedenfalls schon einen lebensspendenden Apfel geklaut. Offenbar aus dem Obstgarten von Göttin Freia – auch die „Ring“-Nerds bekommen bei Brigitte Fassbaender also ihre Gag-Leckerli.

Weitere Aufführungen

am 21. und 27. Juli; Premiere der „Götterdämmerung“ am 16. Juli; die Festspiele mit Konzerten und Opern dauern bis 30. Juli;

www.tiroler-festspiele.at.

Waldvogel aus dem Zirkus und Fafner als Kampfmaschine

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