Nirgendwo in München hätte man den Sonntagabend schöner verbringen können als hier, denn bei „Klassik am Odeonsplatz“ stimmte diesmal einfach alles – vom Kaiserwetter über die königliche Kulisse und die kluge Programmgestaltung bis hin zu den Hochkarätern auf dem Podium: Unter der so eleganten wie energiegeladenen Leitung von Andrés Orozco-Estrada bescherten die glänzend aufgelegten Münchner Philharmoniker mit dem genauso glänzend aufspielenden Pianisten Lang Lang 8000 Leuten auf dem ausverkauften Platz ein fabelhaftes Freiluft-Fest.
Dabei gab es durchaus anspruchsvolle Werke zu hören, die aber auf der Open-Air-Bühne allesamt wunderbar funktionierten – nicht zuletzt dank exquisiter Tontechnik. So hatte man etwa in Wagners „Tannhäuser“-Ouvertüre einerseits das Gefühl, von gewaltigen Blechbläser-Stürmen umgepustet zu werden, konnte andererseits jedoch auch hauchzarte Momente von betörender Schönheit genießen. Richard Strauss’ raffiniert instrumentierte Tondichtung „Don Juan“ faszinierte mit mitreißendem Schwung und hinreißender Leichtigkeit. Und in Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüre „Romeo und Julia“ gelang es den Philis, die ganze tragische Liebesgeschichte in packenden 20 Minuten zu erzählen. Alles in allem ein äußerst abwechslungsreicher Abend, mal überwältigend, mal zutiefst berührend. Zweifellos ein Höhepunkt: Griegs Klavierkonzert mit dem Solisten Lang Lang, der in diesem Fall eindeutig die Hosen anhat – mehrfach zwingt er das Orchester sanft dazu, ihm zu folgen, wenn er plötzlich radikal das Tempo anzieht oder verzögert. En détail könnte man trefflich diskutieren über exzessiven Pedalgebrauch, heillos übertriebene Rubati oder extrem gedehnte Pausen.
Doch immerhin huscht der chinesische Starpianist nie leidenschaftslos über irgendwelche Passagen hinweg, sondern nutzt seine nach wie vor verblüffende Virtuosität, um jeden einzelnen Takt sorgfältig zu gestalten. Seine flinken Finger können in knochenbrecherischem Rekordtempo über die Tasten jagen und dabei trotzdem noch elektrisierende rhythmische Akzente sauber herausmeißeln. Auf dem Steinway ist die Hölle los!
Butterweich hingetupfte und fein abgestufte Pianissimo-Passagen zeigen indes, dass dieser Tastenzauberer mehr zu bieten hat als bloße Show: Lang Lang verleiht dem Flügel Flügel. Sein schwärmerischer Elan und sein naiver Zugriff tun Griegs Gassenhauer gut. Mit schier unbändiger Spielfreude und fast kindlichem Staunen entdeckt er immer wieder Unerhörtes, lässt das Auditorium unmittelbar daran teilhaben und entfesselt so heftige Jubelstürme. Zum Lohn dafür bekommen die Fans noch eine skurrile Zugabe geboten – eine mit überbordenden Tongirlanden verzierte Solo-Piano-Version des 1980 für einen Oscar nominierten Songs „Rainbow Connection“ aus der Eröffnungssequenz des Films „Muppet Movie“.
Mit diesem tiefen Griff in die Kitsch-Kiste bewegt sich Lang Lang haarscharf am Rande der Verhaftung durch die Geschmackspolizei. Aber auch hier zeigt sich die zweitgrößte Gabe dieses ewig hochbegabten Wunderknaben: ein breites Publikum mit seiner Begeisterung für die Musik anzustecken.
Ähnliches lässt sich ebenfalls über Andrés Orozco-Estrada sagen – der charismatische Kolumbianer am Dirigentenpult erweckt den Eindruck, als sei es ihm ein echtes Herzensanliegen, Musik möglichst vielen Menschen möglichst direkt zu vermitteln. Anders als sein Kollege Christian Thielemann tags zuvor am selben Ort sucht Orozco-Estrada immer wieder den Blickkontakt zum Publikum.
Am Ende ist er sich auch nicht zu schade dafür, den augenzwinkernden Anheizer zu geben. Kein Wunder, dass während der flott hingefetzten Zugaben, dem Stierkämpfer-Marsch aus Bizets „Carmen“ und dem Finale der Ouvertüre zu Rossinis „Wilhelm Tell“, Volksfest-Stimmung auf dem Odeonsplatz herrscht – und dass man auf dem Heimweg ringsum in strahlende Gesichter blickt.