Verdrängte Schicksale

von Redaktion

Jüdisches und Münchner Stadtmuseum widmen sich den Displaced Persons

VON KATJA KRAFT

Diese Lücken, diese entsetzlichen Lücken. Viel zu viele klaffen noch in der Münchner Nachkriegsgeschichte. Das Jüdische Museum und das Stadtmuseum möchten einige davon nun in einer Doppelausstellung schließen. Es ist die erste gemeinsame Schau der nachbarschaftlich verbundenen Häuser am Sankt-Jakobs-Platz. In ihr widmen sie sich den sogenannten Displaced Persons (DPs). Jenen Hunderttausenden in Deutschland, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs heimatlos waren, traumatisiert vom Krieg, weggerissen von ihren Familien, körperlich geschwächt von Zwangsarbeit, Hunger, Krankheit. Die Stunde Null, von der Historiker oft euphemistisch sprechen, die gab es nur auf dem Papier. Für die Menschen aber ging das Leiden weiter. Man darf sich das in Bayern ja nicht so vorstellen: Amerikaner da, hurra – alle leben frei und glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Stattdessen: zwischen den Gebäude-Trümmern die menschlichen Ruinen.

Es ist das Verdienst der Kuratorinnen Hannah Maischein, Karolina Novinscak Kölker (je Stadtmuseum) und Jutta Fleckenstein (Jüdisches Museum), dass sie einzelne Schicksale in den Fokus stellen. So wird spürbar, wie heterogen die Gruppe der DPs war; werden aus blutleeren Zahlen – etwa 20 Prozent der Münchner Bevölkerung zu Kriegsende waren DPs – Gesichter, die man nicht so schnell vergisst.

Displaced Persons, das waren aus ihrer Heimat Geflüchtete oder Deportierte oder Vertriebene. Ein besonderes Augenmerk richtet das Jüdische Museum überdies auf die jüdischen Männer, Frauen, Kinder, die die Schoah überlebt haben. Für sie alle war München ein wichtiges Drehkreuz. Ein Anlaufpunkt, von dem aus sie auf eine Rückkehr in die Heimat warteten oder auf einen Neubeginn im bald gegründeten Staat Israel.

Doch nicht alle wollten oder konnten zurück. Für die, die blieben, gründete man 1952 in München etwa die Neue Siedlung Ludwigsfeld. Die DPs, die hier erstmals nach den vielen Jahren in diversen Lagern ein Zuhause fanden, lebten von nun an unter einem neuen Status. Der klingt hammerhart: „heimatlose Ausländer“. Doch, das macht die Ausstellung deutlich, dies waren nicht bloß verwaltete Menschen, sondern aktive Gestalter. Bildung spielte hier eine besonders wichtige Rolle als Ressource für einen Neustart, eine echte Stunde Null.

Deutlich wird auch die Apathie, mit der die Bevölkerung auf das Schicksal der DPs reagierte – oder vielmehr häufig: nicht reagierte. Die Orte aber tragen Erinnerungen in sich, die bleiben. Geschickt verflechten die Kuratorinnen etliche Münchner Straßen und Plätze mit den Geschichten der DPs. So betrachtet man die geliebten Ecken der Stadt neu. Hat bei der nächsten Radltour über die Möhlstraße in Bogenhausen mit einem Mal die Menschen vor Augen, die hier in der Nachkriegszeit versuchten, irgendwie weiterzumachen. Mehr als 100 einfache Geschäfte wurden nach der Währungsreform 1948 vorgelagert auf den Grundstücken der Villen errichtet. Bis in die 1950er-Jahre war die Gegend wichtige Anlaufstelle für Hilfsorganisationen, Treffpunkt gerade für jüdische Menschen.

All dies sind vorläufige Ergebnisse der Grundlagenforschung, die die Museumsmitarbeiter betreiben. Denn die Apathie setzte sich in den folgenden Jahrzehnten fort: Das weite Feld der DPs, es ist wissenschaftlich kaum erforscht. Oft sind da weiße Flecken im Rundgang. Felder mit dem immer selben Text: „Haben Sie Fotos von dem Gebäude und dem Zeitraum? Melden Sie sich gern“, heißt es dann. Zeitzeugen und Spätergeborene mit Erinnerungen sind eingeladen, ihr Wissen weiterzugeben. Um sie zu schließen, diese entsetzlichen Lücken.

Bis 7. Januar 2024

im Münchner Stadtmuseum,

bis 17. März 2024 im Jüdischen Museum; beide Ausstellungen geöffnet Di.-So. von 10-18 Uhr.

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