„Ich spiele gern verrückte Frauen“

von Redaktion

Brenda Rae singt Händels Semele bei den Münchner Opernfestspielen

VON GABRIELE LUSTER

Mit ihrer Erfahrung ist sie so etwas wie die Semele vom Dienst. Brenda Rae hat nämlich die Titelheldin von Händels Oratorium bereits vor Jahren in einer szenischen Produktion in Seattle verkörpert und sang die Partie vor vier Jahren auf einer Konzerttournee mit The English Concert. Lachend gesteht die US-amerikanische Sopranistin: „Ja, ich bin die Einzige unter den Solisten in München, die ihre Partie schon gesungen hat.“

Kein Wunder, dass die Bayerische Staatsoper sich Brenda Rae für die Neuinszenierung von Händels selten aufgeführtem Werk gesichert hat. Als zweite Festspiel-Premiere gelangt „Semele“ am kommenden Samstag auf die Bühne des Prinzregententheaters. Es dirigiert Gianluca Capuano, die Inszenierung besorgt Claus Guth. Dass es bei ihm um eine psychologische Sicht der Dinge geht, bestätigt die Sängerin gern: „Auch die Inszenierung in Seattle war nicht altmodisch, aber hier in München steigen wir tief hinab in Semeles Psyche. Es geht um ihre verborgensten Wünsche und wer sie wirklich ist als Person.“

In der Mythologie soll die Tochter von König Kadmos mit Athamas verheiratet werden. Sie sträubt sich, da sie eine Liebesbeziehung mit Jupiter hat. Dessen eifersüchtige Gattin Juno überredet Semele dazu, Jupiter in seiner Gott-Gestalt sehen zu wollen. Er wehrt sich, aber Semele beharrt auf ihrem Wunsch und verbrennt im Glanz des Göttervaters.

Brenda Rae ist höchst angetan von Claus Guths Sicht auf Semele: „Bei ihm sucht sie die Dunkelheit, wagt sich an ihre Grenzen, schaut in ihre Abgründe… Das ist es letztlich, was sie tötet.“ Nie vorher, so glaubt die Sängerin, musste sich die Titelheldin in einen solchen Widerstreit der Gefühle stürzen. Abgesehen von zehn Minuten ist sie stets auf der Bühne präsent, immer beschäftigt mit ihrem aufgewühlten Inneren oder reagierend auf das Geschehen um sie herum. Ganz schön anstrengend.

Aber die Sopranistin liebt solche Herausforderungen: „Ich spiele gern die verrückten Frauen.“ Brenda Rae hat zuvor nur einmal mit Claus Guth zusammengearbeitet: Bei der Übernahme von dessen Salzburger „Don Giovanni“ an die Oper in Madrid (zu Corona-Zeiten) sang sie die Donna Anna. Jetzt bei „Semele“ genoss sie die intensive Auseinandersetzung: „Natürlich hat er als Regisseur ein Konzept im Kopf und für jede Arie eine Idee. Aber Claus Guth mag es auch, wenn wir Sänger unsere Vorstellungen einbringen, wenn wir etwas anbieten, und so entwickeln wir die Figuren wirklich gemeinsam.“

Auch das kurzfristige Einspringen des Dirigenten Gianluca Capuano brachte Brenda Rae nicht aus der Fassung. „Ich habe im Herbst 2019 eine Wiederaufnahme von Donizettis ,L’elisir d’amore‘ mit ihm in Madrid gemacht. Wir kennen uns also.“ München ist für die in Wisconsin geborene Sopranistin kein unbekanntes Pflaster. Bereits 2012 debütierte sie in Mozarts „Entführung aus dem Serail“ im Nationaltheater. Im Januar 2024 wird sie wieder hier als Konstanze zu hören sein.

Mit einer ihrer Paraderollen, der Zerbinetta in Richard Strauss’ „Ariadne auf Naxos“, sowie als Aminta in Strauss’ „Schweigsamer Frau“ oder Olympia und Giulietta in „Hoffmanns Erzählungen“ ist sie dem Münchner Publikum seit Jahren bekannt, auch als Königin der Nacht in Mozarts „Zauberflöte“. Um diese Koloratur-Partie machte die Sängerin zunächst einen Bogen. Nicht aus musikalischen Gründen, sondern weil sie nicht in der „Königin“-Schublade landen wollte. Deshalb zeigte sie sich zunächst lieber als Pamina im selben Stück, eine Rolle, die sie auch heute noch singt.

Als Absolventin der New Yorker Juilliard School wurde Brenda Rae von Bernd Loebe, dem Frankfurter Opernintendanten, sofort an dessen Haus engagiert. Von 2008 bis 2017 gehörte sie dort zum festen Ensemble und schwärmt: „Ich bin sehr dankbar für diese Zeit. Es ist sehr schwer, als junge Sängerin Karriere zu machen. Durch mein Engagement in Frankfurt bin ich mit den Füßen auf dem Boden geblieben. Wenn ich heute nach Frankfurt fahre, ist es so, als ob ich nach Hause zu meiner Familie komme.“ 30 Partien hat sie allein dort verkörpert, inklusive Ausflüge in die Operette.

„Ich bin keine nervöse Sängerin“, bekennt Brenda Rae, die auch auf ein normales Leben neben der Bühne Wert legt. „Eigentlich schalte ich ganz schnell um und bin direkt wieder Mama“, sagt die zweifache Mutter. Aber dieser Tage, nach einer intensiven „Semele“-Probe, rief sie ihren Mann an, weil sie eine Stunde für sich alleine brauchte… Da sie im vergangenen Jahr nur 30 Nächte zu Hause in Minneapolis war, plant Brenda Rae, etwas kürzerzutreten. Ein paar besonders interessante Rollen locken trotzdem, darunter Bergs Lulu, die sie bereits an der English National Opera sang. Auch für Richard Strauss’ „Daphne“ ist sie im Gespräch, außerdem fühlt sie sich in Belcanto-Partien wohl. Mal abwarten, wo, wie und wann Brenda Rae Neues wagt. Vielleicht in München? Immerhin träumen sie und ihr Mann von einem Haus in Oberbayern. Außerdem lernen beide Buben (vier und sieben Jahre alt) gerade Deutsch.

Premiere

am 15. Juli, 18 Uhr,

Telefon 089/21 85 19 20; vor der „Semele“ am 22. Juli gibt es ein „Quartett der Kritiker“ mit Eleonore Büning, Serge Dorny, Kai Luehrs-Kaiser und Markus Thiel, das sich unter anderem mit Aufnahmen des Händel-Stücks befasst.

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