Alles hat ein Ende – nur die Never ending Tour von Bob Dylan hat keins. Das war jahrzehntelang Konsens unter Fans, doch es erwies sich als falsch. Wobei es schon einer weltweiten Pandemie bedurfte, damit der König der Liedermacher seinen Tross stoppte. Während des Corona-Lockdowns zum Pausieren gezwungen, tat es Dylan vielen seiner Kollegen gleich. Er hielt seine Anhängerschaft mit Live-Aufführungen aus dem Studio bei Laune. Seine 50-Minuten-Show „Shadow Kingdom“, ursprünglich für ein exklusives Streaming-Film-Event eingespielt und im Juli 2021 eine Woche lang ausgestrahlt, ist jetzt auf Vinyl, CD und den Streaming-Plattformen erhältlich.
Dylan und Band spielen sich durch den Katalog des Meisters (wobei der „jüngste“ Song von 1989 stammt) und verleihen den Liedern den Sound, den man seit fast 20 Jahren von dessen Platten kennt: entspannt, halbakustisch, gekonnt, aber ohne virtuose Mätzchen. Die Drums gebürstet, der Standbass swingend, das Akkordeon prominent. Das klingt zunächst mal ziemlich erwartbar. Das Besondere ist, dass die altbekannten Klassiker tatsächlich frisch rüberkommen.
Das Wichtigste: Dylan gurgelt nicht – wie man das von vielen seiner Konzerte kennt – wie ein rostiger Ziehbrunnen, seine gealterte Stimme passt zu den Umarbeitungen und sie zu ihr. „Tom Thumb’s Blues“ kommt als gut gelaunter Calypso daher, „When I paint my Masterpiece“ als augenzwinkernder Bluegrass, „I’ll be your Baby tonight“ ungewohnt ungestüm. Da ist offenbar noch Saft in den alten Knochen.
Das lässt sich über das ganze Projekt sagen. Natürlich sticht keine dieser Aufnahmen das Original aus. Doch ziehen sie den lieb gewonnenen Liedern neue Klamotten an, die ihnen hervorragend stehen. JOHANNES LÖHR
Bob Dylan:
„Shadow Kingdom“
(Sony Music).