An die deutsche Erstaufführung von „Hair“ im Oktober 1968 erinnert sich Ron Williams noch ganz genau. Da blitzt es regelrecht in seinen Augen, wenn er die Reaktionen im Theater an der Brienner Straße heraufbeschwört, wo das Münchner Publikum mit einer völlig neuen Art von Musical konfrontiert wurde. „Unsere Show hat schon im Foyer begonnen. Wir sind durch den Zuschauerraum aufgetreten, haben die Menschen umarmt und Blumen verteilt. Das hat die Leute total irritiert. Aber sie waren trotzdem begeistert.“ Und der 81-Jährige hat natürlich auch die Songs von damals immer noch drauf und legt bei seiner Stippvisite im Deutschen Theater prompt eine kleine A-cappella-Performance hin, während er auf den Kollegen Savio Byrczak wartet, der in der „Hair“-Premiere morgen Williams’ Rolle übernehmen wird.
Heute ist „Hair“ längst Kult und die unterkühlten Kritiken von einst sind nur noch Anekdoten: Die „Nürnberger Nachrichten“ schrieben von „vorgezogenem Fasching mit dem prickelnden Reiz des Anrüchigen“, und auch unsere Zeitung attestierte ein „wirres Durcheinander“. Zitate, die Williams lediglich mit einem verschmitzten Lächeln kommentiert. Als Hippie hat sich der ehemalige GI, der nach seiner Militärzeit in Deutschland heimisch wurde, nie gesehen. „Ich stamme aus Oakland in Kalifornien, was schon damals eine sehr progressive Stadt war. Und obwohl meine Freunde und ich keine Hippies waren, hatten wir doch immer eine klare politische Meinung.“
Das ist nur einer von vielen Gründen, warum ihn „Hair“ und dessen Botschaften einst so faszinierten. „Es war etwas ganz Neues. Keiner in unserem Ensemble war ausgebildeter Musicaldarsteller. Aber darum ging es den Produzenten nicht. Wir hatten eine Haltung zu den Songs. Ich als Schwarzer in Deutschland genauso wie Reiner Schöne, der kurz davor aus der DDR geflohen war. Und das sehe ich auch bei Savio. Er könnte mein Enkel sein, aber auch er macht sein Ding. Und er macht das ganz hervorragend.“
Ein Kompliment, das sich nicht nur auf die Bühnen-Performance seines Nachfolgers bezieht, sondern ebenso auf Savio Byrczaks Social-Media-Kanäle, auf denen er sich offensiv gegen Rassismus und Homophobie starkmacht. Der 24-Jährige war schon bei der Salzburger Premiere der Inszenierung dabei und freut sich, nun auch beim Gastspiel in München den Hud zu verkörpern. „Ich kannte natürlich einige Lieder, hatte aber weder das Stück noch den Film gesehen, bevor mich das Theater angefragt hat. Und als ich mich dann intensiver damit beschäftigt habe, ist mir erst aufgefallen, wie aktuell das alles heute noch ist.“ Etwa mit zentralen Themen wie Rassismus, Krieg oder dem Aufbrechen von Gender-Klischees – selbst der Klimaschutz kommt zur Sprache. „‚Hair‘ wird ja von vielen Theatern und Festivals gespielt. Aber wenn ich mir dann die Fotos anschaue und sehe, wie nostalgisch bunt das oft gemacht wird, bin ich noch dankbarer, dass wir mit Andreas Gergen einen Regisseur haben, der es sich nicht so einfach gemacht hat. Wir haben auf den Proben viel über die Lieder diskutiert und uns Gedanken über die Haltung gemacht, mit der man bestimmte Texte singen muss.“
Das betrifft natürlich vor allem Huds Solo „Colored Spade“ („Ich bin ein Farbiger“), in dem neben dem N-Wort noch eine ganze Reihe von rassistischen Klischeebildern und Beschimpfungen abgespult werden. In der Inszenierung des Stücks, die jetzt am Deutschen Theater läuft, sind die Songs im Original, die Dialoge wurden übersetzt. Wobei die deutsche Version der Lieder einst teilweise noch drastischer klang als im Englischen. Eine bewusste Provokation, an der Williams bis heute seine Freude hat. „Ich habe damals selbst mitgeschrieben und sogar noch ein paar Dinge extra eingebaut. Aber das fanden die in Amerika gut. Das sind alles Ausdrücke, mit denen Schwarze immer wieder konfrontiert werden. Bis heute!“ Eine Einschätzung, die leider auch Byrczak aus eigener Erfahrung bestätigen kann: „Ich will nicht zu pessimistisch klingen, aber ich denke nicht, dass so etwas jemals ganz verschwinden wird. Genau deswegen muss man die Dinge ansprechen und sie den Menschen bewusst machen.“
Premiere
ist am morgigen Samstag; Karten online unter tickets.deutsches- theater.de.