Schüchternes Sexsymbol

von Redaktion

Trauer um Jane Birkin, die mit 76 Jahren in Paris gestorben ist

VON ZORAN GOJIC

Glaubt man Jane Birkin, war das alles nur ein Zufall. Dass sie mit gerade mal 20 im Mittelpunkt eines Skandal- und Kultfilms steht, und es bald darauf mit einer gestöhnten Liebeserklärung in einem weltweiten Hit bis an die Spitze der US-Hitparaden schafft. Dabei sei sie ein schüchterner Teenager gewesen, behauptet sie später – und mit ziemlicher Sicherheit die älteste Jungfrau ihres Londoner Stadtviertels.

Allerdings ist Birkins Mutter Judy Campbell, eine recht bekannte Schauspielerin, und so kommt Jane früh in Kontakt mit der Filmwelt. Erstmals taucht sie 1965 vor einer Kamera auf, nur kurz in Richard Lesters wegweisendem Geniestreich „The Knack“. Im Jahr darauf ist sie kleidungslos in besagtem Kultfilm „Blow up“ zu sehen, der für Aufsehen sorgt. Zum einen gilt die Produktion als Zeitdokument der Swinging Sixties in London – Spötter behaupten, Michelangelo Antonionis Film habe dieses Lebensgefühl erst erfunden. Vor allem aber ist es der erste Fall von „Full Frontal Nudity“ in der Geschichte des prüden britischen Kinos. Eine nackte Frau auf einer riesigen Leinwand – das sorgt für moralische Entrüstung und klingelnde Kinokassen. Jeder will das sehen. Gleich danach besteht Birkin im Meisterwerk „Swimmingpool“ neben den Ikonen Romy Schneider und Alain Delon und etabliert sich damit endgültig als Star.

Das aparte Gesicht, die leichte Zahnlücke – sie sieht anders aus als die meisten Schauspielerinnen ihrer Zeit, und sie strahlt eine nervöse Verletzlichkeit aus, die oft irritiert. Schon Ende der Sechzigerjahre verlegt sie ihren Lebensmittelpunkt nach Frankreich – schuld daran ist ein Mann. Der berühmt-berüchtigte Musiker-Lustmolch Serge Gainsbourg (1928-1991) wird ihr Partner und gemeinsam mit ihm haucht sie „Je t’aime“, das Schlafzimmerlied schlechthin.

Die Erregung ist noch größer als bei der Nacktszene in „Blow up“, ebenso der kommerzielle Erfolg. Je mehr Radiostationen das Lied boykottieren, desto mehr Platten werden verkauft. Birkin gilt endgültig als Inbegriff des Verruchten und gemeinsam mit ihrem genialischen Dandy-Gatten Gainsbourg gilt sie als Vorzeige-Paar des Anti-Establishments. Sie selbst dementiert das immer heftig, ihr Leben sei eher langweilig. Tatsächlich ist Birkin kein Partygirl, sondern kümmert sich lieber um ihre Töchter.

In den Siebzigern beginnt sie, zunehmend durch reichlich skurrile Werke zu irrlichtern, ab und an nimmt sie Rollen auch erkennbar wegen der Haushaltskasse an, etwa beim gediegenen Krimi „Tod auf dem Nil“. Obwohl sie keine echte Sängerin ist, hat sie weiterhin Erfolg mit den Liedern von Gainsbourg, den sie aber verlässt, womit der Selbstbewusste erst mal sehr schlecht zurechtkommt. Warum sie geht, weiß sie selber nicht genau. „Ich bin immer allen davongelaufen.“ Sie tauche bedingungslos in die Liebe ein, sagt sie, fühle sich aber immer auch gefangen. „Keine Liebe bedeutet kein Schmerz“, wird sie später analysieren.

Natürlich bleiben beide – man ist schließlich in Frankreich – Freunde, und Birkin lebt weiterhin in Paris. Sie wird eine Institution des Kulturbetriebs, und wie es sich für einen Star jener Jahre in Frankreich gehört, tritt sie recht oft textilarm auf, obwohl sie glaubhaft versichert, privat eher scheu zu sein. Die ganz großen Rollen in Filmen werden weniger, aber Birkin bleibt gern gebuchte Stammkraft des Kinos. Man kennt sie, und die Franzosen sind ihren Stars traditionell sehr treu – obwohl oder vielleicht auch weil sie ihren britischen Akzent nie verleugnet und immer mal wieder kleine Grammatikfehler macht. Später inszeniert sie auch selbst und bleibt im Geschäft.

Für Aufsehen sorgt zudem 1984 die nach ihr benannte Birkin-Bag der Firma Hermès. Sie wird zum Statussymbol, gut erhaltene Exemplare werden heute für sechsstellige Summen versteigert. Zufall auch das, behauptet Birkin: Anfang der Achtziger habe sie dem Chef von Hermès im Flugzeug aufgezeichnet, wie sie sich eine vernünftige Damenhandtasche vorstelle – das sei alles gewesen.

Diese unprätentiöse Art, dieses britische Understatement hat sie sich bis zum Schluss bewahrt, das war in ihrer Welt voller Diven und exorbitanter Egos ein Alleinstellungsmerkmal. Nun ist sie mit 76 Jahren in ihrer Wahlheimat Paris gestorben.

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