Sprung in die Freiheit

von Redaktion

Am Deutschen Theater feierte „Hair“ aus Salzburg seine München-Premiere

VON MARCO SCHMIDT

Liebe und Musik als Medizin gegen den krankhaften Irrsinn der Mächtigen: Das ist die Botschaft des Kult-Musicals „Hair“, das jetzt im Deutschen Theater in München zu sehen ist. Die beiden Librettisten Gerome Ragni und James Rado zeigen darin, unterstützt durch die Musik von Galt MacDermot, klare Kante gegen Hass und Hetze, Krieg und Kapitalismus, sexuelles Spießertum und rassistische Repressionen – und mixen einen berauschenden Flower-Power-Cocktail aus Protest, Provokation, Poesie, Philosophie und Pazifismus.

Die vom Salzburger Landestheater übernommene Inszenierung zeigt eindrucksvoll, wie aktuell dieses 55 Jahre alte Stück noch ist. Denn Regisseur Andreas Gergen präsentiert keine harmlose, nostalgische Nummernrevue, sondern katapultiert den Musical-Klassiker mit Verve in unsere Gegenwart, in der die Ukraine das neue Vietnam ist: Ausschnitte aus Putins berüchtigter Rede vom 24. Februar 2022 sind zu hören; Reichsbürger schwadronieren davon, dass sie demnächst in Deutschland „aufräumen“ würden; junge „Fridays for Future“-Aktivistinnen fordern mit Sprechchören und Demo-Schildern mehr Engagement für den Klimaschutz.

Die meterhohen, bunt blinkenden Buchstaben L, O, V und E formieren sich zum beeindruckenden, begehbaren Bühnenbild von Stefanie Seitz; Aleksandra Kicas Kostüme variieren höchst kreativ die Regenbogen-Ästhetik der Blumenkinder. Zeitweise treten die politischen Aussagen allerdings arg in den Hintergrund – zugunsten von hedonistischem Sex-and-Drugs-Wirrwarr: Oft wird auf der Bühne mehr kopuliert als rebelliert, und Stephen Martin Allans freche, flotte, leicht chaotische Choreografie erinnert manchmal an Ringelpiez mit Anfassen. Aber zu einer freiheitsliebenden Tribe-Truppe würden vermutlich penibel einstudierte und präzise ausgeführte synchrone Bewegungsabläufe auch nicht recht passen. Immerhin kann diese Love-and-Peace-Party auf ein sehenswertes Protagonisten-Paar bauen: In der Rolle des anpassungsfähigen Zauderers Claude überzeugt Daniel Eckert sowohl stimmlich als auch darstellerisch; bei Denis Riffels Gesang muss man zwar kleine Abstriche machen, doch dank seines Charismas entpuppt er sich als Idealbesetzung für Berger, diesen notorischen Widerständler mit Dauerständer, der sich körperlich und seelisch vollkommen entblößt.

Gesprochen wird auf Deutsch, gesungen auf Englisch. Während die elfköpfige Rock-Band unter Leitung des Keyboarders Michael Lieb ordentlich groovt, findet man bei den Nebendarstellern Licht und Schatten. Maria Joachimstaller punktet als Crissy mit Charme und strahlendem Sopran, Aaron Röll bewegt sich als extrem exaltierter Woof an der Grenze zur Knallcharge. Tanja Schumann, berühmt geworden durch die TV-Sketch-Show „RTL Samstag Nacht“, kann hier erneut in mehreren kleinen Rollen zeigen, was für eine begnadete Komödiantin sie ist. Indes scheint sie nicht unbedingt dazu berufen, auf einer Bühne Musical-Songs zu singen. Dasselbe lässt sich ebenso über manch anderes Ensemblemitglied sagen. Das ist jedoch nicht sonderlich tragisch, denn die meisten Lieder dauern ohnehin nicht länger als zwei Minuten und zünden zudem nicht so richtig, wenn man mal von den beiden Hits „Aquarius“ und „Let the Sunshine in“ absieht. Aber wer ein Ticket für „Hair“ löst, dürfte auch weder musikalische Geniestreiche noch vokale Weltklasse-Leistungen erwarten, sondern vor allem ein heißes Hippie-Happening mit langen Haaren und klarer Haltung – und genau das bietet diese Produktion. Frei nach dem BAP-Motto „Arsch huh, Zäng ussenander“ animiert sie dazu, sich zu engagieren, den Mund aufzumachen und auf körperliche oder verbale Gewalt mit entwaffnender Liebe zu antworten. Also: Lasst die Sonne in die Herzen!

Weitere Vorstellungen

bis 30. Juli; Karten unter tickets.deutsches-theater.de.

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